Humor in der Lyrik – Folge 2: Joachim Ringelnatz (1883–1934), poetischer Schalk und schabernackelnder Abenteurer

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

Was war er nicht alles, dieser skurrile Poet! Schwer erziehbarer Schulversager, Leichtmatrose, Kaufmannslehrling, Hausmeister in England, Landstreicher, Lehrling in einer Dachpappenfabrik, Schlangenträger, Wahrsager, Angestellter in einem Münchner Reisebüro, Schaufensterdekorateur, Gartenschullehrer, Bibliothekar bei einem Grafen, Zigarrenhändler, Bohemien, Zauberer und Ehemann. Er reimte sich das Leben schön und die Welt untergangsreif.

Die Lyrik, die Malerei und Muschelkalk – so nannte er seine große Liebe Leonharda Pieper –, diese drei bewahrten ihn immer wieder vor dem Sturz in den Abgrund, der ihm zeitlebens drohte, war dieser grotesk mit der Sprache spielende Worteschwurbler doch völlig »schief ins Leben hineingebaut«, lebte fortwährend am Existenzminimum, hatte mit Arbeits- und Obdachlosigkeit zu kämpfen und musste zeitweise sogar ins Gefängnis. Er putzte sich mit Bier die Zähne und trank zum Frühstück Schnaps. Zu seinem köstlichen Namen inspirierte ihn, der mit bürgerlichem Namen Hans Bötticher hieß, das Seepferdchen, in der Seemannssprache »Ringelnass« genannt: »Als ich noch ein Seepferdchen war, / Im vorigen Leben, / Wie war das wonnig, wunderbar / Unter Wasser zu schweben«, reimte er selbstversponnen.

1909 erhielt er die Möglichkeit, im Münchner Künstlerlokal Simplicissimus eigene Verse vorzutragen und avancierte zum gefeierten Hausdichter für ein Freibier und zwei Mark Gage pro Auftritt. Mit dem stets volltrunkenen Seemann »Kuttel Daddeldu« wankte später dann sein Alter Ego im Matrosenanzug auf die Bühne und schwadronierte angesäuselt hin und herschwankend von den groteskesten Abenteuern auf hoher See. In seinen »Kinderverwirrgedichten« verrät er den Kleinen, wie man »unter Wasser Bläschen macht« und stiftet sie zum Omaverhauen an. In seinen »Turngedichten« fordert er »die deutschen Mädchen« zur »Grätsche am Barren« auf und wünscht sich, um den »Kniehang« zu bewältigen: »Ich wollte, ich wär’ eine Fledermaus,/ Eine ganz verluschte, verlauste,/ Dann hing ich mich früh in ein Warenhaus/ Und flederte nachts und mauste,/ Daß es Herrn Silberstein grauste./ Denn Meterflaus, Fliedermus, Fledermaus – (Es geht nicht mehr; mein Verstand läuft aus.)«

Das tat sein Verstand dann auch, als ihm 1933 die Nazis das Leben versauten, indem sie ihm Auftrittsverbote verpassten, seine Bilder als »Entartete Kunst« verhöhnten, seine Bücher auf den Scheiterhaufen warfen und ihm Veröffentlichungsverbot erteilten. Wirtschaftlicher Ruin war die Folge. Schluss mit Lustig! Diese Wunden sollten nicht mehr heilen. Ringelnatz, an Tuberkulose erkrankt, kurte 1934 in eine Schweizer Klinik, was ihm Freunde bezahlten. Doch am 17. November 1934 endete das wirre, wilde Leben des melancholischen Poeten mit dem Vogelgesicht. Völlig verarmt starb er in Berlin.

Was für immer bleiben wird, sind seine spielerisch leichten Gedichte, seine feinsinnigen Verse, die dem lebensprallen Dasein huldigen, seine skurrilen, frechen Miniaturen von Wahnsinn überhaucht und voll tiefer Empathie. »Er hat den Stein der Narren entdeckt, welcher dem der Weisen zum Verwechseln ähnlich sieht«, urteilte Alfred Polgar, für den Joachim Ringelnatz ein »Eulenspiegel« war, »mit koboldischer Lust im Durcheinanderbringen von Sinn und Unsinn. Sein Humor hatte eine derbe und eine sublime Seite, und unnachahmlich bleibt die Grazie, mit der er von der einen zur anderen hinüberwechselte.«

Weihnachten liebte er auch, »wenn der Christbaum blüht,/ Dann blüht er Flämmchen./ Und Flämmchen heizen. Und die Wärme stimmt/ Uns mild. – Es werden Lieder, Düfte fächeln -/ Wer nicht mehr Flämmchen hat, wem nur noch Fünkchen glimmt,/ Wird dann doch gütig lächeln«, so reimte er. Und auch dieses Gedicht hinterließ er uns:

Schenke groß oder klein,
aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten
die Gaben wiegen,
sei dein Gewissen rein.

Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei
was in dir wohnt
an Meinung, Geschmack und Humor,
so dass die eigene Freude zuvor
dich reichlich belohnt.

Schenke mit Geist ohne List.
Sei eingedenk,
dass sein Geschenk
du selber bist.

Und was würden Sie tun, Meister Ringelnatz, wenn Sie das Neue Jahr regieren könnten?

Ich würde vor Aufregung wahrscheinlich
Die ersten Nächte schlaflos verbringen
Und darauf tagelang ängstlich und kleinlich
Ganz dumme, selbstsüchtige Pläne schwingen.

Dann – hoffentlich – aber laut lachen
Und endlich den lieben Gott abends leise
Bitten, doch wieder nach seiner Weise
Das neue Jahr göttlich selber zu machen.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

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