Humor in der Lyrik – Folge 29: Ludwig Thoma (1867 – 1921): Bayerische Ikone mit schwarzem Fleck

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

Die Kindheit des 1867 in Oberammergau geborenen Försterbuben war vom frühen Tod des Vaters überschattet. Die Mutter musste ihn und seine sechs Geschwister alleine großziehen. Nach der Schule studierte Thoma erst Forstwissenschaften, dann Jura und ließ sich 1894 in Dachau als Rechtsanwalt nieder. Drei Jahre später zog er nach München und gab seine Anwaltskanzlei auf. »Lieber ein Schifferknecht, Holzknecht usw. als diese öde, öde Tätigkeit« der Juristerei, beteuerte er. Schreiben war nun sein Hauptberuf.

Berühmt wurden seine Beiträge in der satirischen Wochenschrift »Simplicissimus«, deren Chefredakteur er zeitweise war. Er schonte weder kirchliche Moralvorstellungen noch Staat und Gesellschaft mit beißender Kritik. Kompromisslos stellte er das chauvinistische und großmäulige Preußentum mit seinem Pickelhauben-Militarismus ebenso bloß wie den Provinzialismus und die klerikale Politik im Königreich Bayern. Schonungslos geißelte er die herrschende Spießermoral und bigotte Scheinheiligkeit. Viele seiner Gedichte, Erzählungen und Einakter aus dem bäuerlichen und kleinstädtischen oberbayerischen Milieu sind mit deftigem Humor gewürzt. So verspottete er deutsche Sittlichkeitsvereine mit folgendem Gedicht:
 

An die Sittlichkeitsprediger in Köln am Rheine

Warum schimpfen Sie, Herr Lizentiate,
Über die Unmoral in der Kemenate?
Warum erheben Sie ein solches Geheule,
Sie gnadentriefende Schöpsenkeule?

Ezechiel und Jeremiae Jünger,
Was beschmeußen Sie uns mit dem Bibeldünger?
Was gereucht Ihnen zu solchem Schmerze,
Sie evangelische Unschlittkerze?

Was wissen Sie eigentlich von der Liebe
Mit Ihrem Pastoren-Kaninchentriebe,
Sie multiplizierter Kindererzeuger,
Sie gottesseliger Bettbesteuger?

Als wie die Menschen noch glücklich waren,
Herr Lizentiate, vor vielen Jahren,
Da wohnte Frau Venus im Griechenlande
In schönen Tempeln am Meeresstrande.

Man hielt sie als Göttin in hohen Ehren
Und lauschte willig den holden Lehren.
Sie reden von einem schmutzigen Laster,
Sie jammerseliges Sündenpflaster!

Sie haben den Schmutz wohl häufig gefunden
In Ihren sündlichen Fleischesstunden
Bei Ihrem christlichen Eheweibchen?
In Frau Pastorens Flanellenleibchen?
 

Für dieses Gedicht wurde Thoma 1906 zu sechs Wochen Haft verurteilt, die er im Gefängnis München-Stadelheim absitzen musste. Das hinderte ihn aber nicht an weiteren satirischen Angriffen, diesmal gegen die Herren Politiker.
 

Eröffnungshymne

Was ist schwärzer als die Kohle?
Als die Tinte? Als der Ruß?
Schwärzer noch als Rab’ und Dohle
Und des Negers Vorderfuß?
Sag mir doch, wer dieses kennt!
– Bayerns neues Parlament.

Und wo sind die dicksten Köpfe?
Dicke Köpfe gibt es viel,
Denken wir nur an Geschöpfe
Wie Rhinozeross’ im Nil.
Dick’re hat – o Sakrament!
– Bayerns neues Parlament.

Wer ist frömmer als die Taube?
Als die milchgefüllte Kuh?
Als der Kapuzinerglaube
Und das fromme Lamm dazu?
Frömmer ist das Regiment
In dem neuen Parlament.

Und was ist das Allerdümmste?
Schon noch dümmer als wie dumm?
Sagt mir gleich das Allerschlimmste,
Aber ratet nicht herum!
Sag’ mir endlich, wer es kennt!
Himmelherrgottsakrament!!
 

Weithin bekannt wurde Ludwig Thoma auch mit seinen hintersinnig-humorvollen »Lausbubengeschichten«, seinen kraftvollen Stücken und Romanen, wie »Andreas Vöst« und »Der Ruepp«, in denen er die bäuerliche Welt und den Kampf gegen stumpfsinnige Bürokraten, Juristen und »Pfaffen« beschreibt. Der Briefwechsel des Josef Filser, zeigt Thoma ebenso als Ironiker und Humoristen wie sein Sketch »Der Münchner im Himmel«. Unsterblich wurde er mit seiner noch heute im Advent vielfach vorgetragenen Versdichtung »Heilige Nacht«. Und immer wieder schuf er auch satirische Gedichte.
 

Des Weisen Lehre

Künstler, wollt ihr Geld verdienen –
Und wer wollte dieses nicht? –
Höret, was mir recht geschienen,
Höret, was der Weise spricht:
Wessen Gunst sollst du erringen
Mit dem Bild, was du gemalt?
Erstens doch vor allen Dingen
Dessen, der den Kitsch bezahlt.

Zweitens fällt der Kritisierer
Bei der Sache ins Gewicht
Denn als Mensch und Zeitungsschmierer
Ist er ohne Einfluß nicht.
Drittens oder allererschtens,
Maler, was du auch gemacht,
Hast du dabei deines Ferschtens,
Deines Landesherrn gedacht?

Seine Huld belebt die Musen,
Und auch die der Malerei.
Sorge, daß in deinem Busen
Dieser Glaube innig sei.
Male, wie du, wenn du laben
Willst dich an des Herrschers Gunst,
Wünschen wirst, gemalt zu haben.
Dieses heißt man auch’ne Kunst.
 

In seinem Privatleben war Thoma nicht vom Glück verfolgt. Die 1907 geschlossene Ehe mit einer Tänzerin wurde schon nach vier Jahren geschieden. Seine spätere große Liebe Maidi Liebermann von Wahlendorf hätte Thoma gerne geheiratet, doch die verheiratete Frau wollte sich nicht scheiden lassen. So verband ihn nur eine Partnerschaft mit ihr.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wandelte sich Thoma im Alter von 47 Jahren – sieben Jahre vor seinem Tod! – zum Erstaunen vieler vom einst linksliberal gesinnten Schriftsteller zum intoleranten Nationalisten.

1915 zog er als Sanitäter freiwillig an die Ostfront, erkrankte schwer und wurde nach Hause geschickt. Von da an lebte er verbittert am Tegernsee, wo sich dann das Entsetzliche ereignete. Viele begreifen es bis heute nicht, wie aus dem spitzbübischen Försterbuben, der in die Fußstapfen des Vaters treten wollte, aber nach ein paar Jahren Juristerei schließlich Mitarbeiter und Chefredakteur des »Simpl« war, der erst unter dem jüdischen Pseudonym Peter Schlemihl auf Vaterland und Kaiser spottete, wie so einer sich dann ein paar Jahre vor seinem Tod plötzlich um 180 Grad drehen konnte und ein Hetzartikelschreiber wurde, der für den »Miesbacher Anzeiger« anonym bösartige Pamphlete verfasste, in denen er aufs übelste alles verteufelte, was demokratisch, links, fremd und jüdisch war. Vielleicht war er als Monarchist enttäuscht, dass überall in Europa statt Ordnung Bürgerkrieg herrschte und sich eine extreme Radikalisierung breitmachte. Seiner Lebensgefährtin Maidi von Liebermann, die interessanterweise Jüdin war, klagte er: »Alles was ich so liebte, ist im Untergang.« Damit kam er wohl nicht zurecht. Er verlor seine Freude am Leben, radikalisiert sich und wurde wohl aus einer von ihm so empfundenen Notwehr heraus zum Propagandisten der bewaffneten bayerischen Heimatschutzverbände. Mit seinen aggressiven Artikeln im »Miesbacher Anzeiger«, die von rüden Angriffen auf die Reichsregierung, von scharfer antisozialistischer und antisemitischer Hetze geprägt waren, schoss er aber weit über jedes tolerierbare Maß hinaus. Sein Tod am 26. August 1921 im Alter von erst 54 Jahren in seinem Haus »Auf der Tuften« in Tegernsee beendete diese schlimme Schlussphase seines Lebens. Der örtliche Pfarrer, dem Thomas Hass auf die »Pfaffen« nicht unbekannt war, genehmigte erst nach Rücksprache mit dem Erzbistum in München eine kirchliche Bestattung. Vielleicht kannte der Geistliche auch das folgende Gedicht des Satirikers.
 

Gewohnheit

Als Kain den Abel umgebracht,
Zum Himmel dampft das Blut.
Es ward ein starker Lärm gemacht,
Und Gott geriet in Wut.

Die Engel wurden watschelnass,
So haben sie geflennt.
Und Gott hat Kain in grimmen Hass
Ein Zeichen aufgebrennt.

Dann jagte man den Frevler fort;
Fluch folgte ihm und Hohn.
Man sieht, der erste Brudermord
Erregte Sensation.

Doch man gewöhnt sich jetzt zuletzt
Auch an ein solches Ding;
Worüber man sich erst entsetzt,
Schätzt später man gering.

Man hat hernach im großen Stil
Die Menschen umgebracht.
Ein Tausend um das andre fiel.
Das wird noch heut’ gemacht.

Jedoch von oben hört man nichts,
Und keine Stimme tönt,
Die Stimme, die einst angesichts
Des ersten Mords gedröhnt.

Im Gegenteil, der Priester fleht
Und bittet Gott um Sieg,
Wenn es zum großen Morden geht.
Und heilig heißt der Krieg.
 

Was von Ludwig Thoma bleibt, formulierte der Schauspieler und Thoma-Kenner Michael Lerchenberg so: »Er bleibt ein besonders sprachgewaltiger, vielseitiger Autor, der – zugegeben seine Zeit – grandios beschreibt. Aber er hat auch Satiren geschrieben, die bis heute den bayerischen Politbetrieb charakterisieren können. Und dann war er bis zum Ersten Weltkrieg ein absolut liberaler, leidenschaftlicher Verteidiger der Meinungs- und Pressefreiheit gegen jegliche moralische oder religiöse Beeinflussung oder polizeiliche Zensur. Dafür ist er sogar ins Gefängnis gegangen – und dieser Thoma ist mir der liebere, der bis heute Vorbild sein kann.«

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

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