Humor in der Lyrik – Folge 6: Fred Endrikat (1890–1942); »Der fröhliche Diogenes«

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

 

Wer in Nakel an der Netze geboren wurde, wie Fred Endrikat, den kann man sich nur schwer als Star einer Schwabinger Kleinkunstbühne vorstellen. Doch er gehörte in der Nachfolge von Joachim Ringelnatz gleichsam zum Hausinventar des Münchner »Simplicissimus«.

In der Volksschule Wanne-Eickel schätzte man den stillen Musterschüler, weil er zu Schulfeiern Gedichte verfasste. Bereits als Kind beteiligte er sich an Schreibwettbewerben und gewann als 12-jähriger dabei Dumas gesamte Werke. Nach Beendigung der Volksschule begann er auf Wunsch des Vaters eine Schlosserlehre und arbeitete als Pferdejunge im Bergbau. Doch er wollte schreiben und hinaus in die Welt. Eines Morgens entdeckte die Mutter auf dem Frühstückstisch die Verse:

»Mutter, Mutter, laß mich gehen, laß mich gehen in die Welt. / Dort will ich mein Glück erspähen, wo es sich verborgen hält. / Warum soll ich verblühen wie ein Veilchen unentdeckt. / Mutter, Mutter laß mich ziehen – wer weiß, wo mein Glück noch steckt?«

Die Eltern gaben nach und so hängte er Lehre und Bergbau an den Nagel. Nach dem Ersten Weltkrieg schrieb der 20-jährige Couplets und Sketche für verschiedene Vortragskünstler, etwa für Marita Gründgens und Kläre Waldow, aber auch für sich selbst und trat damit in kleinen Cafés und Varietees auf. Bald eroberte er große Bühnen wie das Berliner »Kabarett der Komiker«, den Hamburger »Bronzekeller« oder das Kölner »Charlott«.

Als Joachim Ringelnatz 1930 von München nach Berlin zog, trat Endrikat seine Nachfolge als »Hausdichter« im »Simplicissimus« an und regelmäßig auf dieser beliebten Schwabinger Kleinkunstbühne auf. Bald nannte man den Bänkelpoeten aus Wanne-Eickel mit Joachim Ringelnatz, Karl Valentin, Peter von Osten und Marietta Star in einem Atemzug. Gemeinsam mit Herbert Blatzheim gründete er später das berühmte literarische Kabarett »Die Arche«.

Am Starnberger See baute er sich ein Holzhaus, das er »Kumpelsburg« taufte. Hier empfing er seine »Kumpels«, darunter auch Oskar Maria Graf. Die besten Ideen kamen ihm beim Holzhacken. Wegen einer Sehstörung formulierte er seine Gedichte meist vollständig im Kopf, bevor er sie niederschrieb. Sie erschienen in Büchern mit hohen Auflagen und trugen Titel wie »Der Endrikatechismus«, »Liederliches und Lyrisches«, »Höchst weltliche Sündenfibel«, »Die lustige Arche«, »Sündenfallobst« und »Der fröhliche Diogenes«.

Die »Legitimation« für seine Existenz reimte sich Fred Endrikat so zusammen:

»Irgend zwei Menschen erlaubten sich einen Aprilscherz mit mir / und setzten mich in die Welt als fleischgewordenen Schabernack. / Mein Pegasus ist ein zweihöckriges Murmeltier, meine Leier ein ultrablauer Dudelsack. / Darum klingen meine Lieder wie zerbrochenes Zwiebelmuster / aus einer verrosteten Gießkanne, welche verstimmt. / Ich irre durch das Dasein als ein Verseschuster, / den man, der sich selbst und die Welt nicht ernsthaft nimmt. / Man hat mich gezwungen, der Menschheit anzugehören, / in einer Welt, die zum Weinen lächerlich. / Ich habe mir geschworen, mich nicht zu vermehren, / darüber verfüge und das bestimme ich. / Nun muß ich bis über den Nabel waten / durch dieses lustige Jammertal, / inmitten Advokaten und Diplomaten, / wie ein Klown ohne Maske im Karneval […].«

Im Dritten Reich und im Krieg erlahmte Endrikats Schaffenskraft zusehends. Im Alter von 52 Jahren starb er am 12. August 1942 in Leoni am Starnberger See. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Münchner Waldfriedhof. Er war, wie es in einem Nachruf hieß, mit seinen humorvollen, witzigen Gedichten »ein Philosoph des Alltags, ein Fabulist des Tiergleichnisses – der ›Aesop‹ des Kabaretts … Er gehörte zu den wenigen, die den verflachten Begriff der Kleinkunst menschlich zu vertiefen und geistig zu weiten verstanden.« Als schnurriger Bänkelpoet und »fröhlicher Diogenes« verstand er es, selbst Zweizeiler mit seinem Humor zu würzen, wie z.B.: »Die besten Menschen auf der Erde / das sind die Hunde und die Pferde.«

Fred Endrikat (Zeichnung: Alfons Schweiggert)
Fred Endrikat (Zeichnung: Alfons Schweiggert)

Seufzerfamilie

Ein Seufzer schwebte ganz allein
hoch über einem Birkenhain.
Der Seufzer seufzte tief und schwer:
»O weh, o weh, es quält mich sehr,
daß ich ein männlicher Seufz-ER.
Ich wünsche Seelensympathie
mit einer weiblichen Seufz-SIE.«
Der Seufzer war so intensiv,
daß er sein Weib ins Leben rief.
Bevor der Mond am Himmel hing,
der Seufz-ER die Seufz-SIE einfing.
Er herzte sie und küßte sie
»Du meine einzige Seufz-SIE.«
Sie seufzten glücklich alle zwei,
ach, war das eine Seufzerei.
Sie gingen ineinander auf
und siehe da – am Morgen drauf
thront auf der Birke als Prinzeß
ein kleines, winziges Seufz-ES.
Es tönte lieblich durch den Mai
jetzt die Familienseufzerei
wie ein gefühlsharmonisches
Konzert von Seufz-ER, -SIE und -ES.
So war es – so wird’s immer sein:
Ein Seufzer kommt niemals allein.
 

Die Wühlmaus

Die Wühlmaus nagt von einer Wurzel
das W hinfort; bis an die -urzel
sie nagt dann an der hintern Stell’
auch von der -urzel noch das l
Die Wühlmaus nagt und nagt, o weh,
auch von der -urze- noch das e.
Sie nagt die Wurzel klein und kurz,
bis aus der -urze- wird ein -urz–
Die Wühlmaus ohne Rast und Ruh
nagt von dem -urz– auch noch das u.
Der Rest ist schwer zu reimen jetzt,
es bleibt zurück nur noch ein –rz–.
Nun steht dies –rz– im Wald allein
Die Wühlmäuse sind so gemein!
 

An München

München, ich habe dich lieb.
Wenn ich nur kurze Zeit von dir fort blieb
sehnte ich mich, wie nach einer geliebten Braut.
Ich schlürfe deinen Odem, wie Weihrauch
gemischt mit Sauerkraut.
Ich schwelge in deinen Farben, in deinem Lichtergefunkel,
vom zartesten weiß-blau bis zum schwärzesten Dunkel.
Ich möchte dich umarmen in deinem grünen Kleide,
mit dem Isarband aus flatternder Seide.
So groß ist meine Liebe, daß sie dir deine Eitelkeit
und deine etwas zu niedere Stirn verzeiht.
Ob es wohl Menschen gibt die dich hassen?
Ich möchte mich mit dir sogar kirchlich trauen lassen.
All meine Fruchtbarkeit möchte ich an dich verschwenden,
bis daß ein Dutzend junger Schwabings deinen straffen Lenden
entkeimten. Das ist der ehrlichste Liebesbrief den ich schrieb.
Du bist so herrlich schön, und so saudumm,
und darum
habe ich dich so lieb.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

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