Wiedergelesen – Folge 31: Kneipenträume in einer ordentlichen Zeit – Das lyrische Werk von Günter Bruno Fuchs

Literatur ist vergänglich, auch wenn sie sich, wie jede Kunst, gegen ihre Vergänglichkeit zur Wehr setzt. Trotzdem entschwinden Bücher in Archivbibliotheken. Auf einmal gehören sie nicht mehr zu unserem Erfahrungshorizont. Erich Jooß stellt an jedem 15. des Monats vergessene Lyrikveröffentlichungen in seiner Rubrik »Wiedergelesen« vor, die bewusst unsystematisch angelegt ist. Entdeckerfreude und persönliche Vorlieben sind ihm als Kolumnist von DAS GEDICHT blog wichtiger als literaturhistorische Zensuren.

 

Günter Bruno Fuchs gehört zu den Unangepassten, den Exoten im deutschen Literaturkosmos. Einen wie ihn gibt es heutzutage nicht mehr, lediglich in seiner poetischen Ahnengalerie finden sich noch einige verwandte Künstlerseelen, zu denen er sich bekannte, allen voran Paul Scheerbart, »Dichter aus Deutschland«, dem er ein berührendes Gedicht gewidmet hat: »dieser ´Mann ist ganz deutlich / Biertrinker, sein Bauch / hat Fässer verschlungen«. Bei »der Lesung eigner Werke« überfiel Scheerbart sein »eignes Gelächter, Tränen / mußte er lachen« – außerdem, so das Gedicht, beginnt der Mann 1914 »einen Hungerstreik / gegen den Weltkrieg / ein Jahr / später lebte er / nicht mehr.« Da begegnen wir dem typischen Günter-Bruno-Fuchs-Ton, einer Mischung von Ernst und Unernst, Weinen und Lachen, abgrundtiefem Pessimismus und einer Wanderbühnenleichtigkeit, die ihm in der ordnungsgewohnten Öffentlichkeit allzu rasch das Kolorit des kauzigen Berliner Volkspoeten eintrug. Günter Bruno Fuchs hat sich, worauf Michael Krüger verwies, nie um sein Werk gekümmert, Einzelnes immer wieder überarbeitet, Anderes in Flugblättern oder Handdrucken verbreitet, ohne es zu dokumentieren. Damit erwirbt man keine literarischen Auszeichnungen, freilich bleibt man so der Nachwelt auch ein Rätsel und taucht mit überraschenden Texten immer wieder aus der Versenkung auf.

Trotz seiner kreativen Renitenz gegen den Literaturbetrieb und seiner Unangepasstheit gibt es von Fuchs eine dreibändige Werkausgabe, die nach dem Tod des Dichters erschien. Lieber sind mir jedoch die zuvor erschienen Sammelbände, die – ganz altmodisch – als »Lesebücher« daherkommen und so deutlich machen, dass sich bei diesem Autor die Einheit erst in der Vielzahl der Beiträge und ihrer Verschiedenheit zeigt. Schon 1970 kam so bei Hanser ein umfangreiches »Lesebuch des Günter Bruno Fuchs« zustande. Es liefert einen guten Überblick über das bis dahin Entstandene, sowohl in der Lyrik wie in der Prosa. Deutlich schmäler ist die Auswahl in dem handlichen Bändchen »Gemütlich summt das Vaterland« (1984 bei Hanser), aber – kuratiert von Michael Krüger – handelt es sich dabei um die bis heute wirksamste »Einstiegsdroge« für alle, die von dem Berliner Malerpoeten bisher noch gar nichts oder nicht viel gelesen haben. In der Sammlung zeitgenössischer Nonsensverse »Die Meisengeige« (1964 bei Hanser) schließlich kann man den literarischen Vorlieben des Dichters auf die Spur kommen, wobei es sich der Herausgeber Fuchs versagte, eigene Texte in den Band aufzunehmen. Und dann lassen sich heutzutage in Antiquariaten noch immer relativ seltene Drucke des Dichters aufstöbern, so die »21 Märchen zu je drei Zeilen« (Polyphem Handpressendruck, Berlin 1968). Das sind Gesamtkunstwerke, gelegentlich sogar mit handsignierten Original-Holzschnitten, typographische und künstlerische Wunder (und Wunderlichkeiten), von denen bibliophile Raritätenjäger, falls es die noch gibt, nächtelang träumen können.

Günter Bruno Fuchs wurde am 3. Juli 1928 in Berlin geboren. Bis auf wenige Jahre in Reutlingen war die nach dem Krieg geteilte, ehemalige Hauptstadt, in der er auch am 19. April 1977 verstarb, sein Lebensort. Kaum siebzehn Jahre alt, wurde er schon als Luftwaffenhelfer eingesetzt und geriet in belgische Gefangenschaft. Später absolvierte er eine Maurerlehre, war als Hilfsarbeiter, Circusclown und als Schulhelfer in Ostberlin tätig, bevor er an der Berliner Hochschule für Bildende Künste und an der Meisterschule für Graphik studierte. Danach gründet er zusammen mit Robert Wolfgang Schnell die Galerie zinke und kümmerte sich in Kreuzberg um die Werkstatt Rixdorfer Drucke. Von da an gestaltete er seine Bücher in der Regel selber, versah sie mit Holzschnitten und Federzeichnungen, die auf den ersten Blick kurios und kindlich-surreal anmuten, dabei jedoch immer auf das Wesentliche konzentriert bleiben und sich ungeachtet ihrer begleitenden Funktion die poetische Eigenständigkeit bewahren. Für den Betrachter ist es, als führe hier ein Künstler seine beiden Existenzen vor, unabhängig voneinander und doch auf eine rätselhafte Weise aufeinander bezogen. In den Gedichten wie in der Prosa von Fuchs kommt eine Berliner Gegenwelt zu Wort: Zwischen Wohnungsamt und Mietskasernen, Hinterhöfen und Abrisskneipen, Laubenkolonien und Pfandhäusern, Kellerkindern und träumenden Straßenfegern spielt sich ein anderes, alternatives Leben unter einem »Kindermalbuchhimmel« ab. Wenn da nur nicht die Ordnungshüter mit ihren Gummiknüppeln und die Propagandisten der Wiederbewaffnung wären, die immer wieder drohend aus den Kulissen treten. Zugegeben, manches davon mutet wie eine Berliner Kolportage an, jedoch das Abgleiten in die Idyllik verhindert der melancholische bis pessimistische Grundton, der vor allem die Lyrik von Fuchs durchzieht und wenig Zweifel daran lässt, dass hier der Dichter ein spielendes Kind ist und zugleich ein verzweifelter Anarchist.

Günter Bruno Fuchs muss die heruntergekommenen Inseln und Rückzugsgebiete (heute würde man sagen: Biotope) in Berlin geliebt haben. Neben den vom Glück und vom Wohlstand Ausgesperrten sind die Protagonisten des Dichters sehr oft sorglose, geradezu franziskanisch gestimmte Tiere. Manchmal entstanden daraus empfindsam-leichte Kindergedichte wie der »Katzenmarkt« (Paris 1957): »diese / schöne große Katze läßt die Vögel gute Leute sein«. Mein Lieblingsbuch ist der »Pennergesang« (Hanser, München 1965), der – wie häufig bei Fuchs – vorwiegend erzählende »Gedichte & Chansons« enthält, wobei der Schriftsteller, das belegen die Erinnerungen seiner Freunde und Weggefährten, auch ein grandioser mündlicher Erzähler gewesen sein muss, der sich von spontanen Einfällen und einer nie versiegenden Freude am Sonderbaren leiten ließ. Der »Pennergesang« ist durchaus, wie sein Autor, mit den »winterlichen Gassen der Welt« vertraut und kennt das »Niemandsland« des Trinkers, der im Delirium versinkt. Die »Mischpoke« aus der »Nachtkneipe am Görlitzer Bahnhof« grundiert die Sprache des Bandes, bringt in die Gedichte ihre unverwechselbare Sicht der Menschen und der Dinge ein, bis hin zum »Kneipentraum«: »Langsam erhebt sich die Theke / und schwimmt mit dem großen Säufer davon. / Ach, wer da mitreisen könnte …!« In solchen Fluchtträumen behauptet sich die weltverwandelnde Freiheit der Poesie. Da entdeckt der Dichter drei Telefonzellen, die über den Ozean schwimmen (Wohin sind sie entschwunden?), und beobachtet teppichklopfende Fische. Und Fuchs, der schlecht zu sprechen ist »für Polterknechte und Bummsmacher«, findet ganz am Schluss des bilderreichen Gedichtes »Die Einberufung wird abgelehnt« zu einem melancholisch-stillen Fazit bzw. »Notabene: Ich sah einen alten Mann auf einer Schaukel sitzen / und die Schaukel nur bewegt vom Wind.« Jetzt könnte ich fortfahren mit ganz ähnlichen Beispielen, ich könnte eine seiner Nationalhymnen (des deutschen Fallobstes, der deutschen Toilettenfrau usw.) oder den »Psalm zur Wiedereinführung von Pferden in Großstädten, Städten und Dörfern« (die Reiterhöfe kannte Fuchs noch nicht) zitieren. Stattdessen hier nun für alle Bücherleser, von denen es hoffentlich noch viele gibt, das Gedicht »Aus freundlichen Büchern« gewidmet dem Verleger Carl Hanser und entnommen dem Band »Blätter eines Hof-Poeten & andere Gedichte« (Hanser, München 1967):

»Als in den Parkanlagen / vor dem Leipziger Hauptbahnhof / am siebten Januar 1930 / abends / zwischen 21 und 22 Uhr / im Schein / zahlreicher Laternen / die erste Amsel / klangrein, erfindungsreich / und sehr begabt / einen Menschen ergötzte, der / sein Leben lang / Bücher gebunden, einen thüringischen / Handwerker, pensioniert (er wollte eine Fahrkarte lösen zu seinen Enkeln / nach Jena), sah er / den ersten / Tag seiner Lehrzeit, den Singvogel / sah er, die Amsel / steigen / aus freundlichen / Büchern.«

 

Dr. Erich Jooß. Foto: Volker Derlath
Dr. Erich Jooß. Foto: Volker Derlath

»Wiedergelesen« wird Ihnen von Erich Jooß präsentiert. Der Schriftsteller aus Höhenkirchen veröffentlicht neben eigenen Lyrikbänden auch Lyrikanthologien, Bilderbücher und Erzählbände. Jooß ist Vorsitzender des Medienrats in Bayern und Vizepräsident der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur. Zuletzt erschien von ihm »blues in der früh« (Ed. Toni Pongratz, Hauzenberg 2015).

Alle bereits erschienenen Folgen von »Wiedergelesen« finden Sie hier.

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