Apartheid in der Dichter-WG

von Peter Borjans-Heuser

Im Januar 2012 vermisste ein Diskutant im Anschluss an eine Lesung in meinen Gedichten den »Anspruch«. Andere Zuschauer widersprachen ihm heftig, ohne dass jedoch klar wurde, was er mit »Anspruch« meinte. Er selbst konnte auf Nachfrage auch nicht weiterhelfen.

Inzwischen glaube ich, dass eine Vorstellung von ›Hoher Dichtkunst‹ im Elfenbeinturm dahinter steckt. Busch, Ringelnatz, Gernhardt sind nach einer solchen Definition also eigentlich keine richtigen Dichter. Und Peter Rühmkorfs Bemühungen um das »Volksvermögen« waren abwegig.

Befürworter der prätentiösen Dichtkunst oder gar eines poetischen Apartheidsystems mögen den Elfenbeinturm als des wahren Dichters Heimstatt gelegentlich zur Erbauung aufsuchen. Wer freiwillig in so einer Dichter-WG wohnt, ist mit seinen Mitbewohnern schon genug bestraft.

3 Kommentare

  1. Diese Bissigkeit gefällt mir sehr! Die Deutschen sind schwierig; und sie sind extrem. Gerade in der Lyrik und mit ihrem oft (etwa nur auf das Buch) verengten Kulturbegriff und dem häufig immer noch mangelnden Sinn für das Leichte in der Kunst. Dabei gibt es in der deutschen Lyrik dafür ja längst eine besondere Traditionslinie. Mit der Mitte haben viele ein Problem; wie dieses Land selbst, das seine größten Städte an den Rändern hat. Deswegen muss das “klassische Maß” ewig gestärkt werden, auch auf die Gefahr hin, dass man damit zwischen allen Stühlen sitzt. Hat Goethe im “Veilchen” u. v. a. m. (inspiriert bes. durch Herder) das Volksvermögen nicht auch schon gekannt und ernst genommen, bei gleichzeitiger Abgrenzung von allzu seichter Naturlyrik (Gespräche mit Eckermann)? Schiller möchte ich hier etwas weniger zu Rate ziehen… Ich kenne nicht nur zuhauf in Deutschland geschriebene Lyrik, die “nach oben durchschießt”, ins Abgehobene und oft genug allzu Verschrobene; ich kenne genau so viel und noch viel mehr – nicht nur bei Wettbewerben eingereichte – Lyrik, zumal gereimte und längere Elaborate, die ins Gegenteil umbricht, ins absolut Platte und Banale. Dazwischen ist oft nicht viel… Das wurde aber i Prinzip schon alles vor Jahrhunderten durchdacht!

    1. Lieber Christian Engelken,

      ich danke Ihnen für Ihr Verständnis und Ihr Gefallen an meiner “Bissigkeit”. Ich finde in der Tat nichts schrecklicher als “anspruchsvolle” Dichtung, die nur deshalb schwierig, kryptisch, hochtrabend und feierlich daherkommt, weil sie sich von schnöder Leichtigkeit und Unterhaltung (und dem Großteil der Menschen, die nicht zum Lachen in den Keller gehen,) fernhalten zu müssen glaubt. Auf der anderen Seite gehen mir aber auch die seichten Gelegenheitsreimdrechsler auf die Nerven, die nur den einen “Anspruch” haben, dass das Publikum sich auf die Schenkel haut. In diesem Sinne muss ich tatsächlich dauernd eine “Mitte” suchen.
      Und natürlich haben das alles schon viel berufenere Köpfe vor Jahrhunderten bedacht. Ihren Schlenker zu der in Deutschland fehlenden städtisch-kulturellen Zentrale möchte ich um den Hinweis auf die “Apartheit” im deutschen Schulsystem ergänzen, die mich mit zunehmendem Alter immer “bissiger” macht.
      Herzliche Grüße!

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