Fremdgehen, jung bleiben – Folge 7: Roman Schmid

Junge Lyrik sieht sich selbst oft als eine Quelle der Innovation. Die Schnelllebigkeit der modernen Sprache, die Vielfalt der heutigen Gesellschaft mit all ihren frischen Einflüssen aus Ost, West, Süd und Nord verändern auch die Literatur tiefgreifend. Und so legt Leander Beil an jedem 8. des Monats den Fokus auf das kulturell und sprachlich Andere, das vermeintlich Fremde in der noch jungen Textwelt. »Fremdgehen, jung bleiben« nimmt jeweils einen Text oder Textausschnitt unter die Lupe und spielt essayistisch mit diesem – ohne den Spielregeln einer starren Analyse zu folgen.

 

»Lyrik hat überwunden, was es zu überwinden galt«, sagt so mancher. Den Dadaismus, die Sprachkrise nach dem Zweiten Weltkrieg, die Wortgewalt des Obskuren bei John Ashbery. Und doch kehren Dichter immer wieder zu Ursprünglichem zurück. Sie suchen nach Methoden, aus der Freiheit der post-modernen poetischen Form Grenzen wiederauferstehen zu lassen: Der Lyriker verdammt sich zur Georgeschen Kleinschreibung, er forscht nach unverbrauchten Satzzeichen oder lässt sie gleich ganz weg – Manierismus ist in.

Manchen führt diese Reise aber auch zurück zu einer Form mit einer langen Geschichte. Was von Cavalcanti und Petrarca über Shakespeare bis zu Rilke nahezu alle Großen gemeinsam hatten, war die – zumindest temporäre – Begeisterung für das Sonett. Es ist die argumentative Struktur, die so oft These, Antithese und Synthese erfordert, die das Sonett so reizvoll macht – auch für zeitgenössische Lyriker. Diese inhärente Systematik fügt sich ein in die Materie von »Fremdgehen, jung bleiben«: Denn das Gedicht wagt einen Blick auf das Fremde, um sich dann an einer Grenzbestimmung zu versuchen.

Roman Schmid (geboren 1988 in München) schreibt ein Sonett an den Grundbaustein jedes Gedichts, an das »Wort«. Sein Text scheint sich selbst abzuklopfen nach dem richtigen Ausdruck, nach der Auflösung des eigenen Dilemmas. Stets scheint die Antwort fast greifbar zu sein (»Es gleitet noch ein Wort mit einem Drall / nah an mein Blickfeld«), und doch kommt man nicht voran: Man »säuft ab«, man versinkt in der »Schwere des Sommers«. Das »Wort« schwebt ätherisch leicht und gleichzeitig braucht es die großstädtische Last, die es an den Asphalt bindet. Eingebettet in der Trägheit der urbanen Sommerpause ist es diese Widersprüchlichkeit, die das Gedicht ausmacht.

Und so lässt einen der Autor gegen Ende des Textes glauben, es sei möglich zu finden, was gesucht wird: »Das Erstarren einer Unruh, / vertäutes Luftschloss oder der Vorbeiflug / der Heimat.« Schmids Gedicht löst sich auf in Unlösbarkeit. Es greift nach der Synthese, die nur vorgibt eine solche zu sein, die sogleich wieder in den Untiefen der Hinterhof-Ozeane versinkt. »Sonett an ein Wort« macht deutlich, wie schwer es ist, sich nicht in Zwischenebenen zu verlieren und am Ende dem gegenüberzustehen, das der Dichter am meisten fürchtet: der Wortlosigkeit.
 

Sonett an ein Wort I

Es gleitet noch ein Wort mit einem Drall
nah an mein Blickfeld, etwa wenn die Stadt
in ein Gewitter taucht und dann, anstatt
sich vollzusaugen, absäuft. Überall –

auch Tags – erzählt man sich dann von der Schwere
des Sommers. Aus den hohlen Ozeanen
der Hinterhöfe steigen Landebahnen
für dieses Wort auf. Um es zu vermehren,

ist aber meist die Stadt nicht schwer genug.
Manchmal gelingt es mir, ein solches Wort zu
beschreiben: Das Erstarren einer Unruh,

vertäutes Luftschloss oder der Vorbeiflug
der Heimat. Meist kehrt diese Art Bewusstsein
ein Straßenkehrer später aus dem Rinnstein.
 

© Roman Schmid, München

+ Zum Autor

 

Leander Beil. Foto: Volker Derlath
Leander Beil. Foto: Volker Derlath

Leander Beil, geboren 18.08.1992 in München, lebt und studiert nach mehrjährigem Brasilienaufenthalt in München. Mitglied des Münchner Lyrik-Kollektivs »JuLy in der Stadt« (www.julyinderstadt.de). Erste Lyrikveröffentlichungen in »Drei Sandkörner wandern« (Deiningen, Verlag Steinmeier 2009), Versnetze 2/3 (hg. von Axel Kutsch, Weilerswist, Verlag Ralf Liebe 2009), NRhZ-Online (Literatur), »Die Hoffnung fährt schwarz« (München, Verlag Sankt Michaelsbund 2010), »Ois is easy« (München, Verlag Sankt Michaelsbund 2010), »Der deutsche Lyrikkalender 2012« (Boosstraat, Alhambra Publishing 2011), www.lyrikgarten.de (Online Anthologie des Anton G. Leitner Verlags), DAS GEDICHT Bd. 17, Bd. 18, Bd. 19, Bd. 22, Bd. 23 (Weßling, Anton G. Leitner Verlag), »Pausenpoesie« (Weißling, Anton G. Leitner Verlag 2015).
Alle bereits erschienenen Folgen von »Fremdgehen, jung bleiben« finden Sie hier.

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