Humor in der Lyrik – Folge 36: Franz Kafka (1883 – 1924): »Ein großer Lacher«

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

Kafka und Lyrik!!! Kafka und Humor!!!! Also bitte, was soll denn das? Die Figuren im Werk dieses einsam-düsteren Dichters aus Prag erzeugen doch nur ein beklemmendes Gefühl dunkler Ungewissheit, einer rätselhaften unfassbaren Bedrohung und eines Ausgeliefertseins an schemenhaft dunkle Mächte. Und so einer soll Humor besitzen? Und ein Lyriker ist er doch auch keiner!

Kafka selbst sah sich viel anders. Immer wieder zeigte er sich als grinsender Charmeur mit wüstentrockenem Humor, der seine Geschichten nur halb so ernst nahm wie das die Leser taten und noch immer tun. Kafkas Freund Max Brod berichtet, wie der Franz beim Vorlesen des ersten Kapitels seines Romans »Der Prozess« so schallend gelacht hat, dass er die Lesung immer wieder unterbrechen musste.

»Ich habe es immer wieder erlebt«, berichtet Brod, »dass Verehrer Kafkas, die ihn nur aus seinen Büchern kennen, ein ganz falsches Bild von ihm haben. Sie glauben, er müsse auch im Umgang traurig, ja verzweifelt gewirkt haben. Das Gegenteil ist der Fall. Es wurde einem wohl in seiner Nähe. Die Fülle seiner Gedanken, die er meist in heiterem Ton vorbrachte, machte ihn, um nur den niedersten Grad anzudeuten, zumindest zu einem der unterhaltendsten Menschen, denen ich je begegnet bin, – trotz seiner Bescheidenheit, trotz seiner Ruhe […] Und in vertrautem Gespräch löste sich ihm manchmal die Zunge auf ganz erstaunliche Art, er konnte begeistert und hingerissen sein, des Scherzens und Lachens war dann kein Ende; ja er lachte gern und herzhaft und wusste auch seine Freunde zum Lachen zu bringen. […] Er war sehr konsequent im Ausbau solcher Phantasien, kam mit liebenswürdigem Eigensinn immer wieder auf sie zurück, belebte sie vielseitig mit allen Humorfarben, mit immer neuen Einfällen einer eigenartigen Verspieltheit.«

In der Erzählung »Ein Hungerkünstler« hungert die Hauptfigur – eingesperrt in einem Käfig – den Zirkusbesuchern etwas vor und gesteht am Ende mit spitzem Mündchen, dass er diese Kunst nur ausübt, weil ihm nichts schmeckt. Der Monolog des Affen, den Kafka vor der Akademie erzählen lässt, wie er zu einem Menschen wurde, entpuppt sich als skurrile Zivilisationsparodie. Und seine berühmteste Erzählung »Die Verwandlung« schildert das groteske Schicksal eines Menschen, der noch bei seinen Eltern wohnt, obwohl das eigentlich nicht mehr passt, womit sich Kafka selbst auf den Arm nimmt. Gregor Samsa, der Held aus der »Verwandlung«, wacht morgens auf und ist zum Käfer geworden. Als Büromensch nimmt er seine Lage ohne große Erschütterung an, wodurch die Beklemmung eine komische Note erhält. Seine nüchternen Überlegungen begleiten ihn von einem absurden Höhepunkt zum nächsten bis zum schrecklichen Garaus.

»Ich kann auch lachen, Felice, zweifle nicht daran«, versicherte Kafka 1913 in einem Brief seiner Dauerverlobten Felice Bauer, »ich bin sogar als großer Lacher bekannt.« Und voller Stolz erzählt er seiner Geliebten, wie er seinen Vorgesetzten während einer ernsten Beförderungszeremonie von Lachkrämpfen geschüttelt aus der Fassung brachte. »Natürlich lachte ich dann, da ich nun schon einmal im Gange war, nicht mehr bloß über die gegenwärtigen Späßchen, sondern auch über die vergangenen und die zukünftigen und über alle zusammen, und kein Mensch wusste mehr, worüber ich eigentlich lache […] Mit großem Lachen, aber todunglücklich stolperte ich als erster aus dem Saal.«

Eines Nachmittags besuchte Kafka seinen Freund Max Brod, der noch bei seinen Eltern wohnte. Kafka betrat das Zimmer und weckte unabsichtlich Brods Vater, der gerade auf dem Sofa ein Nickerchen machte. Kafka stutzte und sagte dann, »statt einer Entschuldigung, auf unendlich zarte Weise, wie zur Beschwichtigung die Arme hebend und leise auf den Fußspitzen durchs Zimmer gehend: ›Bitte, betrachten Sie mich nur als einen Traum.‹« Humor scheint Kafka also gehabt zu haben.

Aber war er auch ein Lyriker? Kafkas Freund, der Schriftsteller Max Brod, rühmt in seiner Kafka-Biographie jedenfalls »die einzigartigen Vorzüge seiner noch kaum erkannten Lyrik … Meine Liebe zu seiner Lyrik«, beteuert Brod, »habe ich übrigens auch in Form zweier Lieder (in Klavierfassung wie auch für Orchester) nach Versen Kafkas ausgedrückt.« Und auch in den Tagebüchern entdeckt Brod, wie er es formuliert »die unsagbar schöne lyrische Stelle«, eine von vielen:

»Träume sind angekommen, flußaufwärts sind sie gekommen,
auf einer Leiter steigen sie die Quaimauer hinauf.
Man bleibt stehen, unterhält sich mit ihnen, sie wissen mancherlei,
nur, woher sie kommen wissen sie nicht …
Warum hebt ihr die Arme statt uns in sie zu schließen?«

Beeindruckt war Kafka von den Werken bedeutender Lyriker wie Johann Wolfgang von Goethe, Georg Trakl, Stefan George, Franz Werfel, Stefan Zweig, Arthur Rimbaud und Paul Verlaine, um nur einige zu nennen. Über Franz Werfels Lyriksammlung »Der Weltfreund«, die 1911 erschien, notierte Kafka: »Durch Werfels Gedichte hatte ich den ganzen gestrigen Vormittag den Kopf wie von Dampf erfüllt. Einen Augenblick fürchtete ich, die Begeisterung werde mich ohne Aufenthalt bis in den Unsinn mitfortreißen.«

Besonders begeistert war Kafka von chinesischer Lyrik. »Lieblingsgedichte Kafkas waren«, so Max Brod, »Li-Tai-Pe: ›Der Mann der Tat‹, dann Sao-Han: ›Die drei Frauen des Mandarins‹, Su-Tong-Po: ›Der Kormoran‹.« Die chinesische Dichtung empfand er als die Kunst, »uns mit ganz wenig Worten eine Welt erfühlen zu lassen. Diese Lyrik erfordert darum ein besonderes Maß von Einfühlung, ein Ahnungsvermögen, dem wir Europäer gerade durch die Genauigkeit unserer Ausdrucksweise entwöhnt sind.« Kafkas lyrische Versuche und Fragmente haben in vielem erstaunliche Anklänge an manche kurze chinesische Gedichte. Umso unbegreiflicher ist es, dass man in Kafkas Werken lange Zeit eines nicht erkannte und beachtete: seine Gedichte oder – treffender gesagt – lyrischen Versuche und Fragmente und seine Bedeutung auch als Lyriker.

In der von mir 2004 herausgegebenen Kafka-Sammlung »Kleine Seele springst im Tanze. Lyrische Fragmente« (Verlag St. Michaelsbund, München) sind erstmals zahlreiche lyrische Stellen aus Kafkas Werk gesammelt, die zeigen: auch wenn sich Kafka selbst nicht als Lyriker bezeichnet hat, lyrische Stellen in seinem Werk sind jedoch reichlich zu finden. Über hundert Beispiele sind in dem vorliegenden Band gesammelt. Hier ein paar Kostproben, die auch Kafkas stillen Humor zeigen.
 

Kleine Seele,
springst im Tanze,
legst in warme Luft
den Kopf,
hebst die Füße
aus glänzendem Grase,
das der Wind
in harte Bewegung treibt.

***
Ein
Käfig
ging
einen Vogel suchen.

***

Das Glück begreifen,
dass der Boden,
auf dem Du stehst,
nicht größer sein kann,
als die zwei Füße,
die ihn bedecken.
 

Keine Frage, wer bereit ist, Kafkas Werk nicht ausschließlich auf die Düsternis und den heiligen Ernst zu reduzieren, wie das viele heute noch immer gerne tun, dem gerät der Umgang mit seinem Werk zu einem befreienden und inspirierenden Erlebnis. Und dann fällt es auch nicht schwer, endlich Kafkas lyrische Potenz zu akzeptieren, die bislang leider ignoriert wurde. Und darin gibt es auch etliche Stellen mit leisem Humor.
 

Ich kann schwimmen
wie die andern,
nur habe ich ein besseres Gedächtnis
als die andern,
ich habe
das einstige
Nicht-schwimmen-können
nicht vergessen.
Da ich es aber nicht vergessen habe,
hilft mir
das Schwimmenkönnen nichts
und ich kann
doch nicht schwimmen

***

Ich strebte zu
der Stadt im Süden hin,
von der es
in unserem Dorfe hieß:
»Dort sind Leute! Denkt euch,
die schlafen nicht!«
»Und warum denn nicht?«
»Weil sie nicht müde werden.«
»Und warum denn nicht?«
»Weil sie Narren sind.«
»Werden denn Narren nicht müde?«
»Wie könnten Narren müde werden?«
 

Franz Kafka
Kleine Seele springst im Tanze

Lyrische Fragmente
Hrsg. v. Alfons Schweiggert
Verlag St. Michaelsbund, München 2004
Paperback, 175 Seiten
ISBN: 978-3-920821-47-4

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

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