Im babylonischen Süden der Lyrik – Folge 23: »HOMENATGE POÈTIC-MUSICAL A VALÈNCIA: ›ART ANTIC DE LA MAR – URALTE MEERESKUNST‹ (TERESA PASCUAL)«

Tobias Burghardt flaniert jeweils am 5. eines Monats auf DAS GEDICHT blog durch die südlichen Gefilde der Weltpoesie. In der Rubrik »Im babylonischen Süden der Lyrik« werden Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt.

 

Valencia im Hochsommer – vor zweieinhalb Wochen: Teresa Pascual wurde am 16. Juni 2017 für ihr poetisches Werkschaffen von der »l’Associació d’Escriptors en Llengua Catalana« (Vereinigung der Schriftsteller in katalanischer Sprache) gewürdigt.
 

Teresa Pascual

ART DE LA LLUM

Ignore si guardaves
les agulles i el fil
que ta mare et guardava.
Però sé que al final
jo seguiré solsint
els rombes de la malla
de les barques de llum,
art antic de la mar
que els principis iguala,
que els destins unifica.
 

LICHTKUNST

Ich wusste nicht, ob du
Nadeln und Faden aufbewahrt hast,
die deine Mutter für dich aufbewahrt hatte.
Aber ich weiß, dass ich am Ende
weiterhin die Rauten der Maschen
der Lichtboote aufzehre,
uralte Meereskunst,
die die Anfänge angleicht
und die Schicksale vereint.
 

Aus dem Katalanischen von Juana & Tobias Burghardt
 

Teresa Pascual, geboren am 3. November 1952 in Grau de Gandia, einem mediterranen Küstenort im Landkreis La Safor, südlich von Valencia, verbrachte dort ihre Kinder- und Schulzeit. Der Vater fuhr als Fischer zur See und erfand die »Fideuà«, eine Art Paella mit Hartweizen-Fadennudeln und Meeresfrüchten, die zur kulinarischen Spezialität der valencianischen Küche wurde. Die Mutter erbte »aus einer Epoche / der Angst, des Krieges und unmöglicher Fragen« die Kargheit des Mangels und jenen »Hunger«.

In den letzten Schuljahren erwachte das Interesse am Schreiben, weshalb Teresa Pascual lieber Literatur studieren hätte, aber an der Universität von Valencia gab es jenen Studiengang noch nicht. So entschied sie sich für Philosophie und wurde danach Oberstufenlehrerin am Institut Ausiàs March in Gandia.

Die katalanische Lyrikerin Teresa Pascual (Delta-Archiv, Stuttgart)
Die katalanische Lyrikerin Teresa Pascual (Delta-Archiv, Stuttgart)

In den 1980er Jahren gründete Teresa Pascual den Literaturzirkel »Aina« mit, bei dem sich die neuesten Stimmen der katalanischen Poesie, darunter Maria-Mercè Marçal, Jaume Pérez Montaner, Marta Pessarrodona, Alèx Susanna und Xulio Ricardo Trigo, kennen- und schätzenlernten. 1987 erschien ihr Lyrikerstling »Flexo« (Leselampe), für den sie mit dem »Premi Senyoriu d‘Ausiàs March« in Beniarjó ausgezeichnet wurde. 1988 veröffentlichte sie ihren zweiten Band »Les hores« (Die Stunden), der mit dem renommierten »Premi Vicent Andrés Estellés« im Rahmen der »Premis Octubre« gewürdigt wurde. Ihr dritter Lyrikband »Arena« (Sand) folgte 1992 und ihr vierter Zyklus »Currículum vitae« 1996.

Ihre Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter ins Baskische, Deutsche, Englische, Französische, Galicische, Italienische, Russische und Spanische, während sie Gedichte von Hilde Domin, das poetische Gesamtwerk von Ingeborg Bachmann und jeweils einen Einzeltitel von Hans Magnus Enzensberger und Brigitte Oleschinski ins Katalanische mitübersetzte.

Die beiden ins Deutsche übersetzten Gedichtbände von Teresa Pascual – 2002: »El temps en ordre« (Die geordnete Zeit), ihr fünfter Einzeltitel, der mit dem »Premi de Crítica Serra d’Or de Poesia« 2003 ausgezeichnet wurde, und 2008: »Rebel·lio de la sal« (Rebellion des Salzes), ihr sechster Band, der mit dem bemerkenswerten »Premi de la Crítica Catalana« und dem »Premi de la Crítica dels Escriptors Valencians« 2009 gewürdigt wurde – überwinden die Abgründe zwischen Denken und Fühlen, welche philosophisch oftmals als Antagonismus angesehen werden, durch ihren poetischen Blick, der die ursprünglichen Werte in ihrer menschlichen Dimension befragt, ergründet und wiedererlangt. Nicht von ungefähr schrieb der baskische Philosoph und Dichter Miguel de Unamuno (1864-1936): »Man muss den Gedanken fühlen und das Gefühl denken.«

Ihr siebter Gedichtband »Herències« (Vermächtnisse), den sie gemeinsam mit der jüngeren katalanischen Lyrikerin Àngels Gregori schrieb und 2011 veröffentlichte, wurde mit dem »IV Premi Manel Garcia Grau de Poesia de la Universitat Jaume I« ausgezeichnet. 2014 folgte der achte Lyrikband von Teresa Pascual mit dem katalanischen Originaltitel »València Nord«.

Ihr »Inventar der Stille« gibt den Dingen ihr Maß und Gewicht zurück: Geometrie und Wort: »Es ist der Augenblick, zu den Dingen zurückzukehren, / ihnen Namen zu geben, ohne auf die Wirkungen / zu schauen, die sie auf die Seele ausüben. / Die alte Furcht – der Seele vor den Wirkungen – / zieht sich an ihren Ursprungsort zurück, / entschlossen, den Frieden der Vernunft / innerhalb des Lebens nicht zu wollen.«

Die maritime Metaphorik von Teresa Pascual kennzeichnet eine Poetik der existentiellen Tiefe, schnörkellos und formbewusst: »uralte Meereskunst, / die die Anfänge angleicht / und die Schicksale vereint.« (LICHTKUNST)
 

»EL TEMPS EN ORDRE & REBEL·LIO DE LA SAL – DIE GEORDNETE ZEIT & REBELLION DES SALZES« von Teresa Pascual»EL TEMPS EN ORDRE & REBEL·LIO DE LA SAL – DIE GEORDNETE ZEIT & REBELLION DES SALZES« von Teresa Pascual bei Edition Delta kaufen

 

Tobias Burghardt. Foto: privat
Tobias Burghardt. Foto: privat

Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) ist Lyriker, Übersetzer und Verleger der Stuttgarter Edition Delta (www.edition-delta.de). Er veröffentlichte mehrere Lyrikbände, darunter seine Fluss-Trilogie und zuletzt »Septembererde & August-Alphabet« (2010). Seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und Einzeltitel erschienen in Argentinien, im Irak, in Japan, Portugal, Serbien, Schweden und Venezuela. Er ist Mitbegründer und Koordinator des »Babylon Festivals für Internationale Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich in Babylon und Bagdad stattfindet. Mit seiner Frau Juana Burghardt überträgt er lateinamerikanische Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Herausgeber und Übersetzer der Werkreihe von Miquel Martí i Pol, aus der Pep Guardiola im Sommer 2015 im Literaturhaus München las, und seit Herbst 2014 der Stuttgarter Juarroz-Werkausgabe, dem wir das GEDICHT-Motto »Ein Gedicht rettet einen Tag« (Roberto Juarroz) verdanken. Im Frühjahr 2017 wurden beide für ihr jeweiliges poetisches Werk und ihr gemeinsames literarisches Engagement zwischen den Kulturen und Sprachen mit dem Internationalen KATHAK-Literaturpreis in der südasiatischen Metropole Dhaka, Bangladesch, ausgezeichnet. Tobias Burghardt war GEDICHT-Redakteur der ersten Stunde und organisierte immer wieder wunderbare Sonderteile mit lateinamerikanischer Poesie für unsere Zeitschrift DAS GEDICHT.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Im babylonischen Süden der Lyrik« finden Sie hier.

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