Jubiläumsblog. Ein Vierteljahrhundert DAS GEDICHT
Folge 39: Jochen Stüsser-Simpson – Der Mensch hinter dem Dichter

Seit 25 Jahren begleitet die Zeitschrift DAS GEDICHT kontinuierlich die Entwicklung der zeitgenössischen Lyrik. Bis heute ediert sie ihr Gründer und Verleger Anton G. Leitner mit wechselnden Mitherausgebern wie Friedrich Ani, Kerstin Hensel, Fitzgerald Kusz und Matthias Politycki. Am 25. Oktober 2017 lädt DAS GEDICHT zu einer öffentlichen Geburtstagslesung mit 60 Poeten aus vier Generationen und zwölf Nationen ins Literaturhaus München ein. In ihrer Porträtreihe stellt Jubiläumsbloggerin Franziska Röchter jeden Tag die Teilnehmer dieser Veranstaltung vor.

Jochen Stüsser-Simpson, geboren 1950 in Bonn, lebt in Hamburg, wo er als Lehrer für Philosophie und Deutsch am Gymnasium Christianeum in Othmarschen arbeitet. Er veröffentlicht Gedichte und Prosa sowie gelegentlich Fachartikel in Zeitschriften und Anthologien. Preise u. a.: 2. Platz Deutscher E-book-Preis 2013, bookrix München.

Als Lehrer für Philosophie und Deutsch hat Jochen Stüsser-Simpson tagtäglich Berührungspunkte mit literarischer Sprache. Mit Franziska Röchter sprach er über den lustvollen Umgang mit lyrischer Sprache, anregende Pfarrbüchereien und guten Deutschunterricht.

Den Menschen wünsche ich vor allem, sich selbst etwas Gutes zu tun.

Lieber Jochen Stüsser-Simpson, bitte beschreiben Sie Ihre Erscheinung mit maximal sieben Eigenschaftswörtern.

Gegenwärtig, fluktuierend, wechselvoll, bärtig, rasiert.

Bitte beschreiben Sie Ihr Wesen mit maximal sieben Begriffen.

Ubiquitär, neugierig, experimentell, unverhohlen, assoziativ.

Was, glauben Sie, schätzen Freunde am meisten an Ihnen?

Reiselust.

Bitte nennen Sie Ihre jüngsten Veröffentlichungen.

1. »Silbern. Märchen«. In: »zugetextet.com Nr.3/2017: Coming of Age Geschichten«. Hrsg. v. Walther Stonet.
2. »An der Stadtmauer von Münstereifel. Krimi«. In: »Eifeljahrbuch 2018« (erscheint Oktober 17). Hrsg. v. Eifelverein.
3. »Die Nase hoch« und andere Lyrik. In: »Landschreiber«.
4. Beitrag in: »Sprache und Seinskategorien«. Hrsg. v. Klaus Siewert.

 

Jochen Stüsser-Simpson. Foto: privat
Jochen Stüsser-Simpson. Foto: privat

 

Wie ordnen Sie Ihren lyrischen Stil ein? Mit welchen Dichtern fühlen Sie sich besonders verbunden?

Crossover (in Marketing-Sprache). Heine, Morgenstern, Rilke, Benn, Brecht, Enzensberger, Wisława Szymborska.

Welche Eigenschaften an Ihnen werden möglicherweise von anderen verkannt?

Koch-Kompetenz.

Meine Liebe zur Poesie kommt vom lustvollen Umgang mit lyrischer Sprache.

Woher kommt Ihre Liebe zur Poesie?

Vom lustvollen Umgang mit lyrischer Sprache auf vielen Ebenen, mündlich, schriftlich, komisch, pathetisch … Robert Gernhardt hat in seiner Poetik-Vorlesung gesagt, wer dichtet, klinkt sich in ein seit langem laufendes Gespräch ein. Und: Ich hatte als Kind eine gerne singende und Bilderbücher und Märchen vorlesende Mutter, habe als Schüler viel gelesen. Ein Großvater hatte als Gewerkschaftler das Sortiment der Büchergilde Gutenberg, dazu gab es eine anregende Pfarrbücherei – und nicht zuletzt in der Schule einen unterm Strich fortlaufend recht guten Deutschunterricht. Später – im Bereich der Pubertät – wurden zunehmend musikalische Texte wichtig – englische oder deutsche, von den Stones über Biermann bis zu Ton, Steine, Scherben usw.

Seit wann kennen Sie die Zeitschrift DAS GEDICHT?

Ich glaube seit etwa 2015.

Wie sind Sie auf DAS GEDICHT gestoßen?

Bibliothek oder Internet – weiß nicht mehr genau.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie zum ersten Mal die Nachricht erhalten haben, dass eines Ihrer Gedichte in DAS GEDICHT publiziert werden würde?

Habe freudig eine Flasche Flens ploppen lassen …

In welcher Ausgabe war das und wie heißt das Gedicht?

DAS GEDICHT Bd. 24, »soll ich den wohnsitz ändern«.

Was war Ihr allerschönstes Erlebnis im Zusammenhang mit einem Gedicht?

Ein pubertäres Liebesgedicht auf eine Mitschülerin, das bei der Adressatin nicht ohne Erfolg blieb.

Nicht umsonst heißt es: »Diese Mahlzeit war ein Gedicht.« oder »Das Kleid ist ein Gedicht!« Was ist denn Ihr Lieblingsgedicht von einem anderen Dichter?

Bert Brecht, »An die Nachgeborenen«.

Bitte nennen Sie weitere Lieblingsgedichte.

Hölderlin, »Die Hälfte des Lebens«. Heine, »Deutschland. Ein Wintermärchen«. Hofmannsthal, »Reiselied«. Rilke, »Die erste Elegie«. Brecht, »Vom Schwimmen in Seen und Flüssen«. Gernhardt, »Roma aeterna«.

Und was ist Ihr Lieblingsgedicht aus eigener Feder?

überforderung eines einsilbigen tieres
oder: nach der rückkehr von ernst jandls geburtstagsfeier

ein königreich für ein pferd
fürferdfürferdferdfürfährtfährtfährt
auto pferd auto fehrt
fährt auch so
gegen gegen gegen gegen
auto wumm bumm bumm wumm pferd
spaß staunt jandl jandl staunt
dellen statik innenleben
give the horse a good shake
statik beulen lebenleben
reconstructed horse
pferd belastbar königreich
lieber könig lieber reich
lieber lieber königreich
auf hohem Ross ein Autofahrer
hohem hohen Ross
ist schlecht für Ross, ist schlecht für Fahrer
schlecht ist schlecht ist schlecht
ihm schenk die Freiheit schenk sie ihm
bring lass lass bring stell es es
no fear shakespeare
auf weideweide koppel wiese
das königreich das königreich
das königreich ist eine wiese
 

Lustvoller Umgang mit Sprache ist immer literarisch, in der Lyrik wird er besonders verdichtet.

Was wünschen Sie der Poesie generell, damit mehr Menschen Gedichte lesen oder Gedichtbände kaufen?

Den Menschen wünsche ich vor allem, sich selbst etwas Gutes zu tun. Lustvoller Umgang mit Sprache ist immer literarisch, in der Lyrik wird er besonders verdichtet. Genauso wichtig wie das Sprechen ist hierbei die Schrift, also Lesen oder Schreiben.

Wie könnte man Ihrer Meinung nach der Lyrik wieder dazu verhelfen, Königsgattung in der Literatur zu sein?

Weiß nicht, ihre Rolle wird sie immer spielen, in den verschiedensten Räumen und Zusammenhängen, im Alltag, in der Schule – hier wäre zum Beispiel ein besserer Deutschunterricht wünschenswert, in dem die Literatur größeres Gewicht hätte und auch das (nebenbei: korrekte) Schreiben stärker betont würde, aber das ist ein weites Feld.

Woran arbeiten Sie gerade in literarischer oder künstlerischer Hinsicht?

Hmm, mag nicht recht über ungelegte Eier reden …

Was stört Sie am meisten im Literaturbetrieb?

Das Hervorheben des Biographischen der jeweiligen Autorinnen und Autoren.

Das Vergnügen, an Texten zu pusseln und zu bosseln, lässt mich weiter schreiben.

Was genau lässt Sie immer weiter Gedichte und Texte schreiben?

Das Vergnügen, an Texten zu pusseln und zu bosseln; alltägliche Erlebnisse und Beobachtungen. Hinzu kommt die Lektüre von Literatur – auch im Internet – und von Zeitungen.

Lieber Jochen Stüsser-Simpson, danke für das Gespräch.

 

Franziska Röchter. Foto: Volker Derlath

Unser »Jubiläumsblog #25« wird Ihnen von Franziska Röchter präsentiert. Die deutsche Autorin mit österreichischen Wurzeln arbeitet in den Bereichen Poesie, Prosa und Kulturjournalismus. Daneben organisiert sie Lesungen und Veranstaltungen. Im Jahr 2012 gründete Röchter den chiliverlag in Verl (NRW). Von ihr erschienen mehrere Gedichtbände, u. a. »hummeln im hintern«. Ihr letzer Lyrikband mit dem Titel »am puls« erschien 2015 im Geest-Verlag. 2011 gewann sie den Lyrikpreis »Hochstadter Stier«. Sie war außerdem Finalistin bei diversen Poetry-Slams und ist im Vorstand der Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik. Franziska Röchter betreute bereits 2012 an dieser Stelle den Jubiläumsblog anlässlich des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« zum 20. Geburtstag von DAS GEDICHT.


Die »Internationale Jubiläumslesung mit 60 Poetinnen und Poeten« zur Premiere des 25. Jahrgangs von DAS GEDICHT (»Religion im Gedicht«) ist eine Veranstaltung von Anton G. Leitner Verlag | DAS GEDICHT in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Mit Unterstützung der Stiftung Literaturhaus. Medienpartner: Bayern 2.

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