Jubiläumsblog. Ein Vierteljahrhundert DAS GEDICHT
Folge 40: Augusta Laar – Der Mensch hinter der Dichterin

Seit 25 Jahren begleitet die Zeitschrift DAS GEDICHT kontinuierlich die Entwicklung der zeitgenössischen Lyrik. Bis heute ediert sie ihr Gründer und Verleger Anton G. Leitner mit wechselnden Mitherausgebern wie Friedrich Ani, Kerstin Hensel, Fitzgerald Kusz und Matthias Politycki. Am 25. Oktober 2017 lädt DAS GEDICHT zu einer öffentlichen Geburtstagslesung mit 60 Poeten aus vier Generationen und zwölf Nationen ins Literaturhaus München ein. In ihrer Porträtreihe stellt Jubiläumsbloggerin Franziska Röchter jeden Tag die Teilnehmer dieser Veranstaltung vor.

Augusta Laar lebt als Künstlerin, Lyrikerin und Musikerin in Krailling bei München und in Wien. Zu ihren jüngsten Veröffent­lichungen zählen »Planet 9. Gedichte Fragmente Instruktionen« (Verlag Berger, Horn 2017), »99 love poems. Gedichte und Bleistiftskizzen« (GEDOK, München 2012) und »if you write a poem for me« (Ausstellungskatalog, Europäisches Patentamt, München 2010).

Augusta Laar studierte Klavier und Musik­wissen­schaften in München. Sie lehrte in den Bereichen Lyrik, Wahr­nehmung und Klang u. a. an verschiedenen Goethe-Instituten, an der Schule für Dichtung Wien, bei den Wiener Fest­wochen und im Literatur­haus München und ver­öffent­licht eigene Werke in Antho­logien, Zeit­schriften und im Radio. Ihre künstle­rischen Arbeiten im Bereich der elektro­akustischen Poesie und Foto­grafie wurden mehrfach ausge­zeichnet. Laar veranstaltet seit 2009 die Lyrikerinnen-Reihe und -Festival »Schamrock« und tritt gemeinsam mit Kalle Laar als Electronic Poetry Duo und Free Jazz Band »Kunst oder Unfall« auf.

Im Jahr 2012 befand Augusta Laar: »Frauen, die Lyrik schreiben, sind schon mal verdächtig.« Das war, als sie in München zusammen mit anderen Lyrikerinnen das »Schamrock Festival der Dichterinnen« etablierte, das sich zu einem generationsübergreifenden und grenzüberschreitenden Event für weibliche Lyrik entwickelt hat. Vielleicht ist Augusta Laars Aussage aber auch ein Grund für ihre vielfältigen anderen Aktivitäten.

Augusta Laar arbeitet als »Multikunstfrau«, wie es die Süddeutsche Zeitung einmal formulierte, in vielen Bereichen. Als Klangkünstlerin, die in München Piano und Musikwissenschaft und in Wien Lyrik an der Schule für Dichtung studiert hat, lebt sie abwechselnd in München und Wien.

Sie organisiert Ausstellungen, Festivals, Lyriktalks, gibt Seminare und war als Lehrbeauftragte für Lyrik in verschiedenen Institutionen tätig. Sie fotografiert, verfremdet die Fotos, macht Artwork daraus, erfindet interaktive Postkartenprojekte (»Madonna sagt …«), kreiert Installationen, die befremden, denn: Oft findet man Puppen, Puppenteile, Puppenreste, demontierte, kaputte Puppen, Puppentorsos in ihren Fluxus-ähnlichen Objektschöpfungen. Augusta Laar scheint eine ganz besondere Beziehung zu Puppen zu haben.

Von Augusta Laar stammt der Spruch: »Wer sich damit abgefunden hat, dass er nicht mehr weltberühmt wird, hat gewonnen.« Gewonnen hat sie auf jeden Fall mit ihrer aktuellen Buchveröffentlichung »Planet 9« im Verlag Berger (Horn, 2017). Und weil es Schnittmengen im biografischen Hintergrund gibt, zumindest was die Ausbildung und musikalische Interessen betrifft, konnte der Berliner Musiker, Musikpädagoge, Autor und Lyriker Michel Ackermann dafür gewonnen werden, sich Augusta Laars neuen Lyrikband genauer anzuschauen:

Patrouillen im Welt-Raum der Wortgefilde

Augusta Laars neuer Gedichtband Planet 9 – Gedichte Fragmente Instruktionen
rezensiert von Michel Ackermann

Eigentlich sollte eine Rezension nicht mit dem Wort »eigentlich« starten. Sie tut es doch, und stolpert prompt über ein weiteres Wort: »tuut«… Autsch!

Stolperfallen zuhauf gibt es auch in den Texten der Multi-Künstlerin Augusta Laar. Um hier nur ein Beispiel eines Gedichtanfangs zu zitieren: »puppe nur (im all) // klingt nach (bling!) singt doch (fp): her / mit der raumstation – mehr nano mehr / steuerbordseite vertikal versehrte silver / spaceship küche schmort im schmalz-all (…)«.

Eigentlich hätte diese Rezension mit der Frage nach dem luxuriösen Schmerz sprachlich-kommunikativer Vereinsamung in zeitgenössischer Lyrik starten sollen. Denn eine solche Vereinsamung des Lesers erhält in dem vorliegenden 20. Band der Reihe »Neue Lyrik aus Österreich« keinen wirklichen Raum.

 

Augusta Laar. Foto: Volker Derlath
Augusta Laar. Foto: Volker Derlath

 

Nein, in den still vor sich hin lärmenden Sprachbild-Sequenzen dieser Poesie geht es durch den klärenden Kontext von Überschriften, Zitaten und Verweisen zunehmend geselliger zu. Zumal reale Personen der Pop-Art-Geschichte hinzustoßen, die von Augusta Laars Lyrik gefeatured werden: David Bowie, Bon Hiver, Nick Cave, Mozart, Zappa und andere mehr. Als ob diese mediengeschichtlich gesättigten Gestalten in ihrer Dichtung ihren ›live-haftigen‹ Auftritt haben könn(t)en, wie Rihanna in einem Hip-Hop-Track von Kendrick Lamar (der freilich auch mit von der Partie ist).

Dementsprechend geht es hier nicht im eigentlichen Sinn um lyrische Fiktion, nicht um die immer auch etwas sentimental-heldenhafte Selbst-Erfindung eines lyrischen Egos, das sich mit edlen Worten ausdrückt und schmückt.

Fluxus-orientierte Kunst wie die dieser Künstlerin feiert das Leben anders (ab). Sie verweist auf den wort-laut-konkreten (Welt)-Schmerz seiner dinglich-konkreten Lebendigkeit. Ein Schmerz, der gerade nicht durch – wenn auch liebenswerte – Wortspielerei oder poetische Stillleben von Topfpflanzen gelindert werden kann. Denn der eigentliche Schmerz moderner Hinterlassenschaften (wie z. B. der Fluxusbewegung) ist ein anderer, wurde er wirklich verinnerlicht und erlebt. Dieser wenig-luxuriöse Schmerz trägt das kalt-heiße Herz einer Kunst, die mit dem altehrwürdigen Paar aus Inhalt und Form gebrochen hat, um sich so im Leben selbst zu verbrennen. Ein Bruch, der uns sprechender Weise direkt an die lebendige Oberfläche der Dinge führt, hin zu ihrer Ereignishaftigkeit. Unter deren Oberfläche lauert nicht etwa die Tiefe, ja, kaum auch mal eine Untiefe. Denn auch diese Polaritäten zwischen Vorder- und Hintersinn, Oberflächen- und Tiefenschichten gehören als unaufgelöste Gegensatzpaare in die Mottenkiste der Gelehrsamkeit. Marode Dialektik.

Es erscheint auf magische Weise stimmig: Dort, wo eine dem Leben zugewandte Kunst im Leben wirklich wirklich wird, spielen die Polaritäten der Wirklichkeit gerade nicht die Rolle, die Künstler und Philosophen ihnen in ihren Werken einst zugedacht hatten. Doch hören wir hier lieber wieder Augusta Laar zu: »die frau schenkt dem mann eine / gitarre der lyrische hund kläfft die / tonleiter auf und ab psychonauten / erscheinen als geister von tönen«. Diese Strophe leitet ein Sonett ein, und es ist nicht das einzige in diesem Band. Da ist sie nun doch, die Form zum Inhalt. Wird hier alle obige Vermutung widerlegt? Nein. Denn Laars Gedichte sind auch in Buch-Form gedruckt und nicht auf einem Blumentopf. Für sie ist diese Referenz nur ein weiterer Verweis neben all den anderen. Es entsteht kein bemühtes Spannungsgefüge daraus. Verse und Strophen stehen nicht anders da, als Wortlaute, Namen, Zitate. Alles ist Inhalt, nichts ist Form und vice versa. Der Kontext des Wortes generiert sich selbst, wird als Kontext mit seinen Herkunfts-Verweisen zum Außen ohne Innen. Und umgekehrt. Kontexte sind gleichermaßen formal wie semantisch. Sie sind Inhalt und Form zugleich. Als herkunfts-kontext-bezogene Worte entfernen sie dezent die (normalerweise immer etwas anstrengende) Hinweis- und Zeigefinger-Funktion geschriebener Sprache.

Denn die Kontexte verweisen kaum auf ein Ausgedachtes, das wortreich benannt wurde, vom Dichter, dem Denker und Henker der Wirklichkeit. Sie verweisen auf sich selbst und eben die lebendige und immer schon vergangene Welt, aus der sie stammen. Die Dichterin Augusta Laar hat sie nur aufgelesen, kreativ notiert in weiteren, anderen produktiven Bereichen ihres und unseres Lebens. Das Künstler-Ego, es hat sich, welch Erleichterung, verflüchtigt in lärmender Ding- und Ereignishaftigkeit von Sprache. Die darin seltsam still und bescheiden daherkommt. Hier entsteht dann doch etwas Dialektik.

Abschließend: Die Botschaft der kunst- und mediengeschichtlichen Moderne, welche in den 60er-Jahren im Fluxus ihren ersten medialen Höhepunkt erlebte, lautete vielleicht und unter anderem auch: Alles ist Nichts, und das in beständigem Werden. Daraus wurde später vereinfacht: »Everything goes«. Was in dieser Vereinfachung nicht stimmte, weshalb die so benannte Postmoderne sich schnell in die Lehrbücher verabschieden musste. Doch was ist heute? Das ›Gehen‹ wurde aus seiner allumfassenden Absegnung in die Anlagen des künstlerischen Tuns selbst hineinverlegt. Dieses Tun hat sein eigenes ›Gehen‹ medial zu inszenieren und wird dabei zum ereignishaften Ereignis, dessen Kontext Aufmerksamkeit sucht und erzielt – oder auch nicht.

Augusta Laars Band jedenfalls wünscht der Rezensent wenigstens ein bisschen mehr Aufmerksamkeit, als es sich bei aktueller Lyrik normalerweise erwarten lässt.

 
Augusta Laar:
Planet 9

Gedichte Fragmente Instruktionen
Reihe Neue Lyrik aus Österreich, Band 20
Verlag Berger, Horn 2017
64 Seiten, Softcover
ISBN 978-3-85028-769-2

 

Franziska Röchter. Foto: Volker Derlath

Unser »Jubiläumsblog #25« wird Ihnen von Franziska Röchter präsentiert. Die deutsche Autorin mit österreichischen Wurzeln arbeitet in den Bereichen Poesie, Prosa und Kulturjournalismus. Daneben organisiert sie Lesungen und Veranstaltungen. Im Jahr 2012 gründete Röchter den chiliverlag in Verl (NRW). Von ihr erschienen mehrere Gedichtbände, u. a. »hummeln im hintern«. Ihr letzer Lyrikband mit dem Titel »am puls« erschien 2015 im Geest-Verlag. 2011 gewann sie den Lyrikpreis »Hochstadter Stier«. Sie war außerdem Finalistin bei diversen Poetry-Slams und ist im Vorstand der Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik. Franziska Röchter betreute bereits 2012 an dieser Stelle den Jubiläumsblog anlässlich des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« zum 20. Geburtstag von DAS GEDICHT.


Die »Internationale Jubiläumslesung mit 60 Poetinnen und Poeten« zur Premiere des 25. Jahrgangs von DAS GEDICHT (»Religion im Gedicht«) ist eine Veranstaltung von Anton G. Leitner Verlag | DAS GEDICHT in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Mit Unterstützung der Stiftung Literaturhaus. Medienpartner: Bayern 2.

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