»Vorübergehend Bild, zu ebner Erde wohnend. Sonette« von Luis Stefan Stecher

rezensiert von Paul-Henri Campbell

»Vorübergehend Bild, zu ebner Erde wohnend. Sonette« von Luis Stefan StecherLuis Stefan Stecher »Vorübergehend Bild, zu ebner Erde wohnend. Sonette«

Exotik oder Heimat. Dazwischen nichts. Oder doch: Ränder. Oder: Übergänge, Hybridisierungen und Peripherien des (z. B.) deutschsprachigen Kulturkreises in Südtirol oder Rätien oder die sorbischen Gebiete Sachses bzw. Brandenburgs oder der Peensilfaani Deitsche in den USA.

Dort leben unter anderem Dichter, wie z. B. der bei Meran lebende italienische Dichter Luis Stefan Stecher. Solche Dichter sind nicht irgendwelche regionale Kuriositäten. Sie sind Belege dafür, dass Kultur nicht an der Landesgrenze aufhört, nicht durch sie definiert wird. Diese hybriden Variationen auf fiktive oder angebliche Leitkulturen erinnern uns daran, dass Kultur keine nationale Frage ist. Luis Stefan Stecher ist Maler und Dichter. Er ist Bürger dieser Künste, von dorther bekommt er seine Papiere. Er verfügt über eine Doppelbegabung, die die an Reinheitsphantasien leidenden Deutschen wohl skeptisch stimmen dürften – man ist auf gut Deutsch ja entweder dieses oder jenes, keinesfalls aber beides. Aber dieser Malerpoet ist beides.

Der Malerdichter Luis Stefan Stecher wird am 7. Juni 1937 in Laas (Südtirol) geboren. Zwölf Tage später werden anderswo, nämlich auf der iberischen Halbinsel, die Truppen der spanischen Nationalisten unter General Francisco Franco das baskische Bilbao in ihre Gewalt bringen und besetzen.

Der spanische Bürgerkrieg hat vielleicht nicht sehr viel mit der Geschichte eines Südtirolers zu tun, der nun einen Gedichtband mit dem Titel »Vorübergehend Bild, zu ebener Erde wohnend« (Folio Verlag Wien/Bozen 2012) vorgelegt hat; außer dass sein Gedichtband aus knapp 150 Sonetten in petrarkisch-italienischer Form und deutscher Sprache besteht. Ich weiß nicht, ob dies für die autonome Region Trentino-Südtirol eine Art politisches Zeichen sein könnte. Vermutlich nicht. Jedenfalls zeigt es, dass wir plötzlich genau hinschauen müssen, wenn wir von den rezeptionslogischen Extremen von Heimat und Exotik abrücken in die hybriden Grau- und Mischzonen der kulturellen Peripherien.

Luis Stefan Stechers Sonette, die im Zuge des 75. Geburtstags des Künstlers aus mehreren Zyklen zusammengeführt werden konnten, bieten die Möglichkeit über 1) die Inanspruchnahme der Sonett-Form als Autofiktion nachzudenken; 2) das Gedicht als Klingspiel zu betrachten; 3) sich den Dichter als Garant für existenzielle Zuversicht – als Schöpfer von Mutgedichten – vorzustellen.

To Sonnet or Not to Sonnet

Es ist keine Frage der Form. Vielmehr erweist sich die sonettistische Kompositionslogik in ihrem Bemühen um eine Herstellung von Proportionen. Das Sonett ist ein poetischer Machtdiskurs, darin Material untergliedert und in der Untergliederung verhältnismäßig verteilt wird und in der Verteilung in Beziehung gesetzt wird. Freilich ist dies nur eine Lesart bezüglich der Konkretion des Sonetts. Man kann sie auch einfach hinsichtlich der Versgliederung betrachten. So etwa: Im Gegensatz zum Sonett des englischen Typs, das mit einer epigrammatischen Pointe im Couplet schließt, stellen Sonette des italienischen und französischen Typs die wiederkehrende Bewegung in den Vordergrund, was sich in einer häufig formalen Ausgestaltung niederschlägt, in der einem durch zwei Quartette unterteilten Okatvbau eine in zwei Terzette substrukturierte Sextettordnung nachgestellt wird.

Luis Stefan Stecher verfolgt bei lockerer Metrik in der Tradition verbürgte Gestalten und bezieht sich in seinem Gedichtband häufig auf die zweite Variante, die gelegentlich auch mit Francesco Petrarca in Verbindung gebracht wird. Aber es finden sich auch sogenannte Shakespeare-Sonette in seinem Buch, wie
»Der Schwarzblaue Schatten der Feigenkakteen«, das trotz inkonsequenter Form in der Ausführung ein gelungenes Sonett ist, bei dem lediglich seltsam scheint, dass obschon das Sonett mit einem Couplet schließt (»aufgemacht« / »Nacht«), dennoch die Darstellung von Quartetten und Terzetten gewählt worden ist, während es sich doch eigentlich um drei Quartette und ein Couplet handelt.

Aber blicken wir anstatt auf den Bau einzelner Gedichte, auf den Aufbau von Stechers Gedichtband insgesamt. Die Sonette sind auf zwölf Abteilungen von je 10 bis 12 Texte verteilt. Die Kapitel sind thematisch nach Bildarten zusammengestellt, z. B. »Kunstbilder«, »Lebensbilder«, »Krankenbilder« oder »Zeitbilder«. Sämtliche Texte sind datiert und reichen von 1970 bis 2012, wobei zwei Drittel der Sonette nach 2000 entstanden sind. Außerdem ist der Entstehungsort der einzelnen Gedichte markiert.

Quer zum Kapitelaufbau verläuft eine weitere Systematik, darin die Sonette Zyklen zugeschrieben sind, die aber aufgebrochen und im ganzen Band verstreut sind. Insgesamt verfolgt der Band eine Selbstauslegung des Lebens. Der meditativ-retrospektive Ton dominiert. Die 150 oder so Texte ordnen Eindrücke und Rückblicke im Vergangenheitsmodus, aber auch die Verarbeitung von Krankheiten im Präsens. Dabei erzeugen einige Sonette mit ihrer Bildsprache aus dem mediterranen und alpenländischen Kulturraum eine leicht verklärte, auch romantische Atmosphäre: »Im Duft von Jod und Rosmaringen / weht Zephyros die blauen Hügel her. / Es drängt mich, dich, o Nacht, zu singen, dich schöne Nacht, dich stummes Meer«.

In Verbindung mit den Texten, die konkrete Lebensereignisse, Erinnerungen und späte Einsichten zum Thema haben, liegt der Gedichtband auf der Linie der autofiktiven Dichtung. Das Leben des Autors wird zur Referenz der lyrischen Stimme. Dass der gesamte Band sich der Sonett-Form bedient, könnte man hierbei als einen Versuch einstufen, sich über die Masse häufig willkürlich gewählter Impressionen und Ereignisse die Bindung der Form normativ zu versichern. Denn es ist in der Tat so, dass die Bezugnahme auf das Sonett diesen heterogenen Sujets einen Gleichklang verleiht. Es gibt ihnen eine formale Ähnlichkeit, die eine Ähnlichkeit des Ichs durch all diese Impressionen und Ereignisse hindurch als Identität ausdrückt. Indem alle Bilder, die ein Dichter in fast einem halben Jahrhundert versammelt, in einer Form Ausdruck finden, drücken sie auch die Einheit dessen aus, der die Form erfüllt: »Und eine Nacht im Tintenfass / ist mehr als nur Arrest. / Durch dich bleibt die Palette nass, die Einzelhaft ein Fest. // […] doch mehr als das, // ist mir das Bild, das du erbaust, / in dem du frei die Welt erschaust«.

Das Gedicht als Klingspiel

Luis Stefan Stechers Sonette entwickeln Stillleben einzelner Eindrücke und Ereignisse, die ein Leben als Leben-in-der-Welt ausmachen. Sie entwerfen dabei eine Ikonographie des Selbst. Jedes Sonett ist gleichsam somit eine wie mit Eitempera auf Olivenholz gemalte Ikone. Was leisten sie? Denn es ist auffällig, dass keines der Sonette explizit poetologisch ist. Nirgends im Gedicht geschieht eine explizite Reflexion auf das Gedicht. (Ich möchte an den Band »Hieb- und Stichfest. Streitsonette« (2012) von Lothar Klünner und Klaus Rarisch erinnern, darin die Poetologie des Sonetts in einem in Sonette ausgeführten Briefwechsel verhandelt wird). Überall fließen bei Stecher Impressionen und biographische Konkreta unbekümmert in die Gussform des Sonetts.

»Die Seele geht, meerfinster / tänzelnd zur Syrinx, mit Ginster / und Welle an Land. // […] / Im Laub des Lorbeers die Versöhnung, / die Stimmgabel im Geäst gesucht. // Wiedergefunden in den Tentakelzweigen, / […] / die stimmige Idee.«.

Die Nymphe Syrinx, wie uns Ovid erzählt, entsagte allen Werbungen um sie. Schließlich floh sie vor Pan, der ihr hoffnungslos verfallen war. Als sie ein Ufer erreicht, ersucht sie die dort ansässigen Flussnymphen um Hilfe, welche daraufhin die Syrinx in Schilfrohr verwandeln. Pan erreicht nun ebenfalls das Ufer. Sein Atem geht entnervt und prustend durch die Gräser, die infolgedessen einen wunderlichen Klang erzeugen. Ergriffen von diesem Klang schneidet Pan einige Schilfrohre ab (Syrinx ist augenblicklich Schilfrohr) und bandelt sie zu einer Hirtenflöte zusammen. Freilich finden wir diese Szene überall in der Malerei von Rubens über Poussin bis Edmund Dulac aufgenommen. Es ist ein handelsübliches Motiv. Eine wichtige lyrische Inszenierung dieses Stoffs findet sich bei der amerikanischen Lyrikerin Amy Clampitt (1920–1994). Ich möchte Stechers Sonett in Auseinandersetzung mit Clampitt besprechen, weil die Dichter entgegengesetzte Poetiken zur Anwendung bringen.

Anders als in dem Gedicht »Syrinx« der Neuengländerin Amy Clampitt, entwickelt Luis Stefan Stecher das Gedicht als melodisches Ereignis. Amy Clampitts Intention war anders: Die amerikanische Lyrikerin reflektierte das Phänomen der Klanglichkeit, die der Geschichte der Nymphe Syrinx im Modus der lieblichen Hingabe zu Grunde liegt, in Form eines Gedichtes, das aber als phonetischer Traktat daherkommt.

Demgegenüber finden wir bei Luis Stefan Stecher eine andere Poetik vor: Der meditativ-liedhafte Duktus dominiert hier. Es geht weniger um das Sagbare und stärker um eine Atmosphäre. Die ohnehin vorhandene akustische Matrix des Sonetts wird durch Assonanzen (etwa »Seele geht, meerfinster«) oder alliterative Arrangements (»Laub des Lorbeers«) verstärkt. Zudem sind in den beiden Terzetten jeweils die letzten beiden Zeilen metrisch verknappt, um die Reime schneller wiederkehren zu lassen. Das Gedicht bedient zudem noch ein Wortfeld aus dem Bereich der Natur und des Elementaren (»Ginster«, »Welle«, »Laub«, »salzigen«, »Atem«, »Bucht« usf.). Die relative Offenheit dieser Begriffe verursachen im Rezipienten weitläufige, ebenso konkrete wie auch abstrakte (weil entrückte) Assoziationen. Clampitts Gedicht hingegen operiert mit einer stärker reflexiven, deklarativen Poetik: »syrinx, that reed / in the throat of a bird / when it comes to the shaping of / what we call consonants, is / too imprecise for consensus«.

Es ist nicht so, dass man sich zwischen diesen beiden Ansätzen zu entscheiden hätte. Es ist nur so, dass es unterschiedliche Methoden gibt, das Gedicht in einen ästhetischen Diskurs einzubringen: also z. B. entweder – wie bei Luis Stefan Stecher – als ein meditativ-klangliches Ereignis, das weniger sagt als es tut, oder aber als – wie bei Amy Clampitt – als Moment der Reflexion dessen, was ästhetische Erfahrung sei. Beide Methoden sind aufeinander verwiesen, sind nie einfach dies oder das, aber die Tendenzen und Akzente sind anders gelagert.

Das oben zitierte Syrinx-Sonett von Luis Stefan Stecher ist im Übrigen auch ein interessanter Text, weil es dem eigenen melodischen Duktus an markanter Stelle einen Durchschuss verpasst, dem meditativ-klanglichen Duktus das wuchtige Wort »stimmige Idee« einschreibt, d. h. das sinnliche Erlebnis des Textes wird konterkariert durch ein kognitives Moment.

Aber vielleicht muss nicht jedes Gedicht ein Gedicht über das Gedicht sein. Oder vielleicht ist jedes Gedicht ein Gedicht über das Gedicht, ohne es zu wissen. Die Stärke der Sonette von Luis Stefan Stecher scheint mir jedoch in ihrer Summe zu liegen. In ihrer Bezeugung eines spezifischen Lebensgefühls. Sie sind daher naturgemäß selbstbezogen. Jegliches Moment des Gedichts ist nur von Belang, insofern es im Zusammenhang mit dem Subjekt des Sonetts steht. Der Vorteil dieser Strategie liegt daran, dass wir einfach an einer fremden Bewegung teilnehmen können, einen Dichter beobachten können, wie er sich seine Welt zurecht legt und darin uns eine spezifische Schau auf die Welt offeriert.

Mutgedichte: »Du musst dein Leben ändern«

Wir brauchen sicherlich keinen Anselm Grün der Poesie. Gleichzeitig sollten wir uns jedoch an Gedichte erinnern, die uns auch am schwärzesten Tag wachrufen, eine Zuversicht schenken, die wir fast vergessen hatten. Ein Gedicht vermag auch Garant zu sein. Und man erkennt aber das Gegenteil, wenn man kritisch schaut auf die deutschsprachige Literatur der 90er-Jahre mit ihrem selbstgefälligen Pessimismus und auf die Literaten des folgenden Jahrzehnts, die ein vages globales Lebensgefühl mit seichtem politischen Aktivismus paarten, um sich in ihrer Hilflosigkeit den letzten Anschein von Relevanz zu geben.

Bei Stecher finden wir etwas anderes. Es muss niemandem gefallen; es ist aber da. Und obschon Luis Stefan Stecher gewiss ein Malerpoet ist, aber kein Dichterprophet, sind gleichwohl in den Sonetten dieses 75-jährigen Künstlers aufgespart Momente kraftvoller, vitaler, anmutiger Zuversicht: »Am Pilgerweg ins Morgenland / stehen Mädchen bei den Linden / […] // Frühmorgens ruft der März, nur Mut, es wird sich alles, alles finden«.

Oder dieses Gedicht im Rückblick auf eine Frau: »Es war leicht, dich sehr zu lieben, / eine Kleinigkeit«. Ungewiss, womit wir es hier zu tun haben: Ist es ein naives Geständnis im Nachhinein, die erleichterte Stimme, welche von den Situationen, darin sie vielleicht einst schmerzvoll schrie, schon längst entrückt ist und nun alles verklärend mit einer gesetzten Ruhe und Reife Revue passieren lässt? Oder sind Luis Stefan Stechers Verse jene Ampullen, darin die verloren geglaubte Zuversicht in den Lauf der Dinge erneut verabreicht wird?

Dichtung darf anrührend sein und wird, indem sie in uns schöne, auch romantische Gefühle weckt, nicht sofort zu Kitsch: »Du warst siebzehn und wild entschlossen / zu lieben gegen alles, was sich wieder uns stellt. / Ich, etwas älter, war ohne Ahnung, was man dazu braucht auf der Welt. // […] // […] / eigentlich wollte ich Einsiedler werden, nun fuhr ich dem Glück hinterher. // Und heute, nach fast fünfzig Jahren, / fragst du mich nach dem Wunderbaren, / fällt mir die Antwort nicht schwer«.

Was haben wir denn eigentlich dagegen, wenn Liebe auch unkompliziert geht? »Wir begannen auf uralte Weise / ein Paar, eine Welt zu sein, / einfach so, Hand in Hand«. Was sagt es über uns aus, wenn wir uns solchen Versen wie instinktiv verweigern und sie als sentimental abtun, während wir unseren Beziehungsstatus auf Facebook permanent zwischen »Single« und »Complicated« wechseln lassen?

Besteht in dieser einfachsten Sache der Welt, die Zuneigung zu einem anderen Menschen zu bekunden, nicht eine ungeheuerliche Provokation für jene, die das Lieben verlernt haben? »Im Anderen bei sich selbst sein, / ist wie Wasser sein im Meer, / du hier nicht, ich nicht dort, wie Rauschen von weither«. Sicherlich, der Anklang an Zitate für Stoßstangenaufkleber oder Kurztexte auf Prämienkarten für Kunden von Katzenfutter haftet diesen Texten an. Dieser Anklang entsteht aber aufgrund der relativen Unschuld, aus der sie geboren worden sind. Ohne die Kulisse, die dieser Band in seinen atmosphärischen Texten erzeugt, entginge uns die eigentliche Ruhe und Zuversicht, aus denen einzelne Texte entsprungen zu sein scheinen. Die Zuversicht nimmt man den Texten ab, weil sie eingebettet sind in eine (illusionäre) Flora der Klarheit, Einfalt, auch der vorindustriellen, autochthonen Welt des Märchens: »Vielleicht warst du einmal eine Echse, eine / Agavenbewohnerin über einem Lavaschacht, / lange bevor dich deine Mutter in ihrem Wunsch / Erfunden und zur Welt gebracht«. Und diese Erfahrung machen die Sonette von Luis Stefan Stecher zu einer bereichernden Lektüre.

»Vorübergehend Bild, zu ebner Erde wohnend. Sonette« von Luis Stefan StecherVorübergehend Bild, zu ebner Erde wohnend. Sonette
Luis Stefan Stecher
deutsch
Folio Verlag, Wien/Bozen 2012
162 S.
€ 19,90 (Gebunden)

Luis Stefan Stecher: »Vorübergehend Bild, zu ebner Erde wohnend. Sonette« bei Calle Arco kaufen

Diese Rezensionen werden Ihnen von Paul-Henri Campbell präsentiert. Campbell ist 1982 in Boston (USA) geboren und schreibt Lyrik sowie Prosa in englischer und deutscher Sprache. Gedichtbände: »duktus operandi« (2010), »Space Race. Gedichte:Poems« (2012). Er ist ebenfalls Übersetzer und Mitherausgeber der internationalen Ausgabe der Lyrikzeitschrift DAS GEDICHT (»DAS GEDICHT chapbook. German Poetry Now«). Soeben erschienen ist »Am Ende der Zeilen | At the End of Days. Gedichte:Poetry«.

2 Kommentare

  1. Vielen Dank wieder für die subtile Besprechung eines Gedichtbandes. Zu den Reinheitsphantasien der Deutschen – eine vielfach zutreffende Beobachtung – fiel mir allerdings spontan ein, dass die Romantik, die in Deutschland ja einen bzw. den Schwerpunkt hatte, vielfache Synästhesierungstendenzen kannte. Spitzweg schrieb Gedichte, Schumann und Wagner waren literarisch-musikalische Doppelbegabungen, bei Wilhelm Busch hielt sich beides in etwa die Waage, womit er als Urvater des Comics gilt. Auch E.T.A. Hoffmann u.a. wären zu nennen. Somit sind Doppelbegabungen in der Kunst – ähnlich wie der Komplex Genie und Wahnsinn, für den wiederum Schumann ein Beispiel wäre – den Deutschen mindestens seit dem 19. Jhdt. nicht so ganz fremd – deutsches Schubladendenken gibt es leider trotzdem.

  2. Ich darf noch einen Nachtrag machen. Doppelbegabungen SOLLTEN den Deutschen nicht fremd sein und sie hatten ihnen gegenüber auch eine erhebliche Akzeptanz aufgebaut (weiteres Beispiel Nietzsche, der auch komponierte und dichtete, ebenfalls im Wahnsinn endete) – wenn die Erfahrungen der vor 1945 liegenden großen kulturellen Vergangenheit denn noch (ungebrochen) tradiert würden – was LEIDER füglich zu bezweifeln ist. Geschichte endet in Deutschland viel zu oft 1933 – und damit kann man dann bei (Stunde) Null anfangen…

Schreibe einen Kommentar zu christian engelken Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert