Jubiläumsblog. Ein Vierteljahrhundert DAS GEDICHT
Folge 12: Ulrich Beck – Der Mensch hinter dem Dichter

Seit 25 Jahren begleitet die Zeitschrift DAS GEDICHT kontinuierlich die Entwicklung der zeitgenössischen Lyrik. Bis heute ediert sie ihr Gründer und Verleger Anton G. Leitner mit wechselnden Mitherausgebern wie Friedrich Ani, Kerstin Hensel, Fitzgerald Kusz und Matthias Politycki. Am 25. Oktober 2017 lädt DAS GEDICHT zu einer öffentlichen Geburtstagslesung mit 60 Poeten aus vier Generationen und zwölf Nationen ins Literaturhaus München ein. In ihrer Porträtreihe stellt Jubiläumsbloggerin Franziska Röchter jeden Tag die Teilnehmer dieser Veranstaltung vor.

Ulrich Beck, geboren 1964 in München, zählte in den Achtzigern zu den Gründungs­mitgliedern der »Initiative Junger Autoren« (IJA) und verantwortete als Kassierer deren Finanzen. Seit einigen Jahren ist er beratend für DAS GEDICHT tätig. Ulrich Beck arbeitet schon lange in leitenden Funktionen
für die Industrie. Er veröffentlicht regelmäßig in Anthologien und Blogs. 1986 debütierte er mit dem Gedicht­band »gleitzeit« im Verlag Bundes­ring junger Autoren. Im November 2017 erscheint seine neue Lyrik in der edition DAS GEDICHT unter dem Titel »komm & geh zeiten«. Ulrich Beck lebt in Bremen.

Der Dichter lebt nicht nur vom Wort allein. Ulrich Beck verkörpert den Idealzustand des modernen Lyrikers, der trotz seiner Leidenschaft für die Poesie immer auch den Blick für die Realitäten des ökonomiegebundenen Daseins im Auge behält. Mit Franziska Röchter sprach er über den Anfang vor dem Anfang: wie damals in München, noch bevor DAS GEDICHT das Licht der Welt erblickte, alles begann …

Mit finanzieller Unabhängigkeit zur nötigen literarischen Distanz.

Lieber Ulrich Beck, beruflich haben Sie ja ganz andere Schwerpunkte, als man von einem Lyrikschreiber vermuten dürfte: Sie arbeiten seit vielen Jahren in der Industrie, sind dazu viel auf Reisen und in Ihrem Beruf sehr engagiert. Jetzt fragt man sich aber schon, wie Sie da noch mit etwas so »Unökonomischem« und Unlukrativem wie der Poesie und Gedichten zurechtkommen und noch mit Muße ein Gedicht schreiben können?

Eine interessante Frage, weil es ja eine ganze Reihe von auch sehr prominenten Autoren sowohl in der Literaturgeschichte als auch heute gibt, die neben der Literatur sogenannten ›Brotberufen‹ nachgehen. Mit Muße ein Gedicht zu schreiben ist dann in der Tat eine Herausforderung. Stoffe gibt es genug, denn im Grunde ist die unternehmerische Sphäre mit ihren Aktoren ein Kosmos mit Dramen, spannenden Geschichten, Gefühlen, großen Kämpfen und kleinen Episoden, Reisen und Fluchten.

Ich betreibe ja nicht ›Literatur der Arbeitswelt‹, mein Ansatz kommt aus der Auseinandersetzung mit meiner Lebenswirklichkeit. (Ich möchte hier die Thematik Literatur der Arbeitswelt nicht abwerten, das ist aber ein anderes Konzept.) Einen entsprechenden Teil meines Lebens verbringe ich mit meinem beruflichen Engagement, das mir doch interessante Stoffe liefert.

In der Tat ist es für mich eine Herausforderung, neben dem beruflichen Engagement die notwendige Muße und Energie zur Entwicklung von Texten zu finden. Dass hier etwas ›unlukrativ‹ sein könnte, stört mich nicht. Meine finanzielle Unabhängigkeit hilft mir auch, Literatur mit einer gewissen Distanz zu betrachten, wenn nötig, und immer zu unterstützen, wo es nur geht. Vielleicht ist das eine Illusion. Aber die Unabhängigkeit von finanziellen Mitteln kann auch die Perspektive zur Muße bei der Textarbeit verbessern.

Tatsächlich habe ich oft nachgedacht, entweder einen Verlag zu gründen

Belastbarkeit, Führungskompetenz, Organisationstalent, Verhandlungsgeschick: Sind das nicht auch Eigenschaften, die eher ein Verleger denn ein Poet mitbringen sollte?

Ob ich als Verleger eher denn als Poet wirken sollte oder gar prädestiniert wäre? Tatsächlich habe ich oft nachgedacht, entweder einen Verlag zu gründen oder mich an einem Verlag zu beteiligen oder diesen gar zu übernehmen. Wer weiß? Vielleicht kommt eine Gelegenheit, die auch kaufmännisch Sinn macht. Dann ließe sich reden. Und Erfahrungen mit Übernahmen, Führung, Krisen und ähnlichem habe ich wohl sammeln können …

25 Jahre DAS GEDICHT – wenn das kein Grund zum Zurückschauen ist! Was viele nicht wissen: Sie waren ja nicht nur ganz am Anfang, sondern eigentlich schon vor der Stunde null, nämlich beim Anfang vor dem Anfang dabei. DAS GEDICHT gäbe es ja vielleicht gar nicht, wenn Anton G. Leitner nicht Anfang der Achtzigerjahre in München gemeinsam mit Ihnen und anderen die »Initiative Junger Autoren e. V.«, kurz IJA genannt, gegründet hätte. Wann genau sind Sie dazu gestoßen und wie kam es dazu?

Wir haben uns schon vor der Gründung der IJA gekannt und auch gemeinsam den Verein gegründet, ordentlich und mit Satzung. Anton und ich lernten uns über eine Zeitschrift kennen, die ich vor den Toren Münchens mit herausgab und für die wir einen Literaturteil aufbauen wollten. Ein simpler Einstieg, und irgendwann ging es dann weiter mit der Literatur. Anton war für sein literarisches Engagement schon bekannt. Dazu kannte ich Helmut Krausser aus der Schule, der schon in seiner Jugend spannende Gedichte schrieb. Es gab also Berührungspunkte, die sich dann zu einer langjährigen Freundschaft entwickeln konnten.

Ulrich Beck. Foto: privat
Ulrich Beck. Foto: privat

Die IJA hat als Talentschmiede eine ganze Reihe sehr erfolgreicher Literaten hervorgebracht, u. a. Michael Lentz, Norbert Niemann und den IJA-Mitbegründer Anton G. Leitner – im weiteren Umfeld befanden sich auch die heute überaus erfolgreichen Schriftsteller Friedrich Ani und Helmut Krausser. Ein eigenes Publikationsorgan gab es noch dazu: »Der Zettel, Münchner Flugblatt für junge Literatur«. Viele Schriftsteller haben dort ihre ersten Gedichte veröffentlicht. Haben Sie sich einige »Zettel« aufbewahrt?

Der Zettel wurde von wechselnden Herausgebern, auch von mir, gestaltet und produziert. Ich habe darin auch Texte veröffentlicht. Die Aufgabe war sehr motivierend, von der verlegerischen Freiheit bis hin zur Produktion von Konzept-Ausgaben.

Wir hatten mit der der IJA wohl das Pech, Jahrzehnte vor jeglicher Digitalisierung eine Plattform für Literatur zu entwickeln. Andererseits hatten wir das Glück und die Energie, eine Gruppe von Literaten, die es teilweise beeindruckend weit in der Literatur gebracht haben, zu einem Austausch über Literatur zusammenzubringen. (Das hört sich fast nach Klassentreffen an, aber es ist schön, sich immer wieder zu treffen, etwa bei den Lesungen zum GEDICHT.)

Sie gehörten dann ja auch zu den ersten beiden Autoren, die 1986 im Verlag des »Bundesrings junger Autoren« eine eigene Gedichtsammlung veröffentlichten, die unter dem Titel »gleitzeit« erschien. Der andere Autor war Anton G. Leitner mit »Schreite fort, Schritt«. Worin unterscheidet oder unterschied sich Ihre Initiative Junger Autoren e. V. vom Bundesring junger Autoren e.V.?

Die IJA hat nie den ›Verbandsanspruch‹ des BjA gehabt, war eine Vereinigung junger Autoren, die über Treffen und Veröffentlichungen wie den »Zettel« ein Forum anbieten wollte. Dann kamen große Leseabende mit vielen Autoren dazu oder Aktionen wie Spontanlesungen in der Münchener S-Bahn.

Die Rechtsform des Vereins war ein Vehikel, um Finanzierungen erreichen zu können, in Form von Spenden oder auch Sponsoring. Und ein Vehikel, um auch formal wahrgenommen zu werden, etwa bei Förderungen, wo man ohne rechtliche Form, etwa als eingetragener Verein, nicht unbedingt als Gesprächspartner ernst genommen wird.

Autoren sind nicht immer die besten Verwaltungsexperten.

Für die Münchner Literaturinitiative waren Sie jahrelang der Schatzmeister. Natürlich hat jeder eingetragene Verein einen Kassenwart. Aber was haben Sie denn da verwaltet? Mussten die Autoren Beiträge zahlen?

Ehrlich gesagt benötigt nicht jeder Verein einen Kassenwart, aber der Job macht Sinn, wenn man mit Geld umgehen muss, da man als gemeinnütziger Verein zu einer Steuerklärung oder zu einer Abrechnung gegenüber Fördergebern verpflichtet ist. Das muss professionell gemacht werden und rein berufsmäßig war ich wohl dafür prädestiniert …

Geld kam rein durch Beiträge und einzelne Spenden und Förderungen beziehungsweise Zuwendungen durch Veranstaltungen. Wirtschaftlich gerade genug, um unsere Projekte und Vorhaben stemmen zu können. Autoren sind nicht immer die besten Verwaltungsexperten, die Aufgabe muss dann aber trotzdem jemand machen.

Die IJA veranstaltete 1988 im Münchner Gasteig-Kulturzentrum in Zusammenarbeit mit IBM-Deutschland das Festival »Interaktionen / Tage junger Literatur«, die bis zu diesem Zeitpunkt größte Literaturveranstaltung in der bayerischen Landeshauptstadt. Konnten sie damals echte Erträge durch Eintrittsgelder erzielen?

Die Interaktionen wurden im Wesentlichen durch die IBM Deutschland und die damalige IBM-Kulturreferentin Bettina Toepffer finanziell ermöglicht. Diese Veranstaltung war ein enormer Schritt und in seinem Zuschnitt auch ein einmaliges Treffen der deutschsprachigen jungen Autoren. Die noch bis Anfang der Neunziger folgenden Veranstaltungen waren sehr viel kleiner organisiert, auch wenn etwa »München liest« durch einen von uns organisierten Literaturwagen der Bahn nach Passau samt Autoren bereichert wurde, mit Lesungen zusammen mit Vladimir Sorokin, László Földenyi und anderen. Ich habe dabei als (Mit-)Organisator, ›Kassenwart‹ oder auch Autor mitgewirkt. Und ich war, wenn nicht als lesender Autor, denn doch mindestens derjenige, der das Finanzielle bis zur Abrechnung organisieren durfte.

Bis 1991 hatte Anton G. Leitner den Vorsitz der IJA, 1993 kam dann die erste Ausgabe von DAS GEDICHT heraus, und zwar in Co-Herausgabe von Anton G. Leitner und Ludwig Steinherr. Löste sich die junge Autoreninitiative in der Folge mehr oder weniger auf?

Anton war die Schlüsselfigur. Sein Engagement als Gründer wie auch das der anderen Mitstreiter waren und sind schon eine Herausforderung. Bei Vereinen wie auch bei Unternehmen zeigt sich, dass mit dem Abgang der Gründer die Nachfolger es häufig nicht ganz einfach haben, in punkto Engagement oder Netzwerk die Weiterführung zu garantieren.

Ein wichtiger Schritt für Anton waren seine Erfahrungen als Herausgeber von Anthologien, etwa bei Goldmann. Die Verlage einer solchen Größenordnung waren damals so mutig, sich mit engagierten Autoren einzulassen und Bücher herauszugeben, mit vielen Freiheiten und hohem Engagement.

Die persönliche und mutige Entscheidung von Anton, sich als Verleger und Herausgeber selbstständig zu machen, verdient rückwirkend betrachtet mehr als Respekt und war der konsequente Schritt, um der Poesie zu mehr als 100% verbunden zu sein. Und das umso mehr, als die wirtschaftliche Perspektive bei dieser Entscheidung wohl eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat.

Beweglich sein in medialer Gegenwart und Zukunft.

DAS GEDICHT chapbook. German Poetry Now, Vol. 1
Seit einigen Jahren sind Sie mit der Zeitschrift DAS GEDICHT wieder stärker verbunden. Muss man sich das so vorstellen, dass heutzutage kein Kleinunternehmen, das langfristig bestehen will, ohne das Wissen um die Prinzipien erfolgreicher Ökonomie und Finanzwirtschaft eine Chance hat?

Vielleicht zur Verdeutlichung: Ich bin nach meinen Jahren, die ich beruflich in Spanien verbracht habe, seit 2011 dem Verlag und der Jahresschrift (was es für mich besser als Zeitschrift trifft) wieder eng verbunden. Es gab die Idee der Chapbooks, die ich gerne unterstütze, und ich unterstütze, wo immer es geht, auch den Verleger Anton G. Leitner, unabhängig von unserer Freundschaft, die praktisch in das fünfunddreißigste Jahr geht.

DAS GEDICHT chapbook. German Poetry Now, Vol. 2
Die Frage nach dem Verlag ist für mich in zweierlei Hinsicht interessant. Kaufmännisch betrachtet ist es ein Unternehmen, das finanziert sein will, mit Angestellten und einem Verleger, der die finanziellen Ressourcen für seine literarische Mission benötigt. Und das als notwendige Bedingung. Vom Zweck her betrachtet, von der Mission Antons her, ist er ein Verleger, Medienunternehmer, ein großer Antreiber der Poesie. Und sein Unternehmen steht noch immer, nun bereits im 26. Jahr, entgegen allen finanziellen Prognosen, aber mit dem Markenkern der Poesie – eine großartige unternehmerische Leistung, mit unternehmerischem Weitblick und unternehmerischer Energie. Das Ganze auch noch im Wesentlichen ohne öffentliche Förderung. Das zeigt Unternehmertum unter der notwendigen Voraussetzung der Liquidität, um beweglich zu sein in medialer Gegenwart und Zukunft.

Lieber Uli Beck, ganz herzlichen Dank für Ihre Erinnerungen an die Anfänge von DAS GEDICHT und für diese sehr wertvolle Einordnung einer unternehmerischen Leistung im Hinblick auf ein als eher schwierig und riskant erachtetes Genre der Literatur.
 

Ulrich Beck
komm & geh zeiten
Gedichte
edition DAS GEDICHT im Anton G. Leitner Verlag, Weßling November 2017

 

Franziska Röchter. Foto: Volker Derlath

Unser »Jubiläumsblog #25« wird Ihnen von Franziska Röchter präsentiert. Die deutsche Autorin mit österreichischen Wurzeln arbeitet in den Bereichen Poesie, Prosa und Kulturjournalismus. Daneben organisiert sie Lesungen und Veranstaltungen. Im Jahr 2012 gründete Röchter den chiliverlag in Verl (NRW). Von ihr erschienen mehrere Gedichtbände, u. a. »hummeln im hintern«. Ihr letzer Lyrikband mit dem Titel »am puls« erschien 2015 im Geest-Verlag. 2011 gewann sie den Lyrikpreis »Hochstadter Stier«. Sie war außerdem Finalistin bei diversen Poetry-Slams und ist im Vorstand der Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik. Franziska Röchter betreute bereits 2012 an dieser Stelle den Jubiläumsblog anlässlich des »Internationalen Gipfeltreffens der Poesie« zum 20. Geburtstag von DAS GEDICHT.


Die »Internationale Jubiläumslesung mit 60 Poetinnen und Poeten« zur Premiere des 25. Jahrgangs von DAS GEDICHT (»Religion im Gedicht«) ist eine Veranstaltung von Anton G. Leitner Verlag | DAS GEDICHT in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Mit Unterstützung der Stiftung Literaturhaus. Medienpartner: Bayern 2.

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Literaturhaus München


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