Lockdown-Lyrik 2.0 / 081: »spaziergang im januar 2021« von Sabine Schiffner

»Lockdown-Lyrik 2.0! Quarantäne poetisch ausleuchten – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns weiterhin die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der nun von Sabine Schiffner, Anton G. Leitner, Alex Dreppec und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie (Dank an Jan-Eike Hornauer, Mitherausgeber Folge 1-154).

 

Sabine Schiffner

spaziergang im januar 2021

ich geh durch meine alte kalte stadt
die schon am nachmittag ein ganz verschlossenes gesicht hat
seit tagen soll es schneien aber der schnee
schafft es nicht bis nach köln

alles ist dunkel alles verriegelt und versperrt
ist zu und wird zu bleiben viele geschäfte
sind gar leergeräumt und an die mauern
hat wer graffitis aufgesprüht

der platz vor dem theater riecht stark nach urin
ist noch viel deprimierender als sowieso
4711 hat heute seine blaugelbe leuchtreklame
ganz ausgestellt nur im dm ist licht aber kaum leute

ich geh die hohe straße hoch am wdr vorbei und dann
zum dom und trete ein und geh bis ganz
nach hinten zu den heiligen gebeinen
schädel mit kronen wenn ihr das bloß

sehen könntet caspar melchior balthasar
steht auf aus eurem prächtigen
schrein in dem ihr viel zu lange schon
verrottet und tretet ein in unsere coronawelt

und seid uns hold bringt ganz viel gold
und myrrhe damit wir gesund werden
und weihrauch auch denn
wir brauchen eure hilfe hier auf erden

© 2021 by Sabine Schiffner, Köln.
(Redaktion: Anton G. Leitner)

 

 

Lockdown Lyrik 2.0. Wir hatten gehofft, dass es zu keinem zweiten Lockdown mehr kommen würde. Aber jetzt ist er angeordnet, der sog. »Wellenbrecher-Lockdown«. Er beginnt in Deutschland ab Montag, den 2. November 2020 – mit der Aussicht auf triste Herbst- und Wintertage. Grund genug für die Redaktion der Jahresschrift DAS GEDICHT, ihre vieldiskutierte Netz-Anthologie zur Corona-Krise vom Frühjahr 2020 wieder hochzufahren. Möge diese Online-Sammlung zur Pandemie uns allen einmal mehr dabei helfen, tief Luft zu holen und möglichst viele Aspekte der weltweiten Katastrophe mit dem Instrumentarium der Lyrik auszuleuchten, damit wir und unsere Leserinnen und Leser mental nicht unter die zweite Welle geraten!

Sabine Schiffner, Alex Dreppec, Fritz Deppert und Anton G. Leitner
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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