Lockdown-Lyrik 2.0 / 145: »Wie umarmst du die Stille?« von Ludwig Steinherr

»Lockdown-Lyrik 2.0! Quarantäne poetisch ausleuchten – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns weiterhin die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der nun von Sabine Schiffner, Anton G. Leitner, Alex Dreppec und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie (Dank an Jan-Eike Hornauer, Mitherausgeber Folge 1-154).

 

Ludwig Steinherr

Wie umarmst du die Stille?

Wie einen Steinblock?
Wie einen Anzug, der aus der Reinigung kommt
mit metaphysischem Geruch?
Wie eine Regenwolke im Halbschlaf?
Wie einen Besenstiel, mit dem du Walzer tanzt?
Wie einen Panther, der gerade träumt?
Wie eine Kerzenflamme, die an sich selbst zweifelt?
Wie eine Schaufensterpuppe ohne Arme?
Wie eine leere Staffelei?
Wie einen frisch verliebten Wirbel von Herbstblättern?
Wie ein Heiligenbild, das echte Tränen weint?
Wie eine einsame Rose in einer Flasche
die sagt: Vorsicht! Ich hab mir die Schulter verletzt?
Wie ein Skelett mit Zylinder
das den Jackpot geknackt hat?
Wie einen erhängten Bademantel?
Wie eine Gardine, die still vergnügt
ihre Ballettübungen macht?
Wie einen im Morgenlicht fröstelnden Einbaum?
Wie den Amazonas?
Wie eine Aluleiter auf der dritten Stufe
der Erleuchtung?
Wie Gott der sich gerade
das Knie blutig geschlagen hat?
Wie einen Song, an den du dich kaum mehr erinnerst?
Wie ein wandgroßes Poster des Meeres?

Alles, glaub mir, alles hängt davon ab
wie du die Stille umarmst!

 

© 2021 Ludwig Steinherr, München
(Redaktion: Fritz Deppert und Alex Dreppec)

 

 

Lockdown Lyrik 2.0. Wir hatten gehofft, dass es zu keinem zweiten Lockdown mehr kommen würde. Aber jetzt ist er angeordnet, der sog. »Wellenbrecher-Lockdown«. Er beginnt in Deutschland ab Montag, den 2. November 2020 – mit der Aussicht auf triste Herbst- und Wintertage. Grund genug für die Redaktion der Jahresschrift DAS GEDICHT, ihre vieldiskutierte Netz-Anthologie zur Corona-Krise vom Frühjahr 2020 wieder hochzufahren. Möge diese Online-Sammlung zur Pandemie uns allen einmal mehr dabei helfen, tief Luft zu holen und möglichst viele Aspekte der weltweiten Katastrophe mit dem Instrumentarium der Lyrik auszuleuchten, damit wir und unsere Leserinnen und Leser mental nicht unter die zweite Welle geraten!

Sabine Schiffner, Alex Dreppec, Fritz Deppert und Anton G. Leitner
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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