Lockdown-Lyrik 22: »erdloch« von Tobias Hoffmann

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Tobias Hoffmann

erdloch

ob der helm nun aus plastik
oder aluminium besteht
scheint mir nebensächlich
jedenfalls zwickt es darunter
der strahlung wegen

dann das sinnieren
übers gleichgewicht
im yin und im yang
die fragen über den gang
den dünnen sinn der dinge
es ist wie wenn du erfährst
dass geheimdienste
im geheimen operieren
das geheimnis ist kaputt

ich habe mich verschluckt
ein gedanke stört den anderen
an verstörung bin ich reich
und denke alles immer schöner
es ist auch nichts mehr sicher
nicht einmal die fakten sind wahr
die waren sind (lol) gefaked

ich habe alles versucht
auch durchzukommen
mit der sprache
habe zuckerkugeln geformt
kristalle geschüttelt
heilerde geschaufelt
was tun was tun was tun
wenn ununterbrochen
geschossen wird

worte sind auch keine lösung
nur noch wenig macht sinn
also gehe ich in den garten
und vergrabe mich
mit 500 dosen ravioli
in einem erdloch

 

© Tobias Hoffmann, Bodnegg bei Ravensburg

 

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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