Lockdown-Lyrik 23: »Nur geträumt« von Sigune Schnabel

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Sigune Schnabel

Nur geträumt

Die Kinder haben Köpfe
unter den Füßen.
Sie kommen am Morgen
und hängen Lupinen
in Kränzen über mein Wort.

Auf Zimmer drei liegt die Sehnsucht
kalkweiß.
Nachmittags geht sie über den Gang,
drei Schritte hin, drei zurück.

Zwischen den Infusionen trägt sie
einen grünen Mantel.
Morgen bringe ich ihr
meinen letzten Schal.

 

© Sigune Schnabel, Düsseldorf
 

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.

Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

Ein Kommentar

  1. Liebe Sigune Schnabel, hier eine kleine Entgegnung mit Herzensdank für den gegebenen “nur geträumt”en Anlass! Sofie Steinfest (aka Morin)

    Fiebertraum

    Lange habe ich nicht
    hinter mein Begehren geschaut.
    Jetzt aber
    mit dir ganz nah immer ganz nah
    finde ich mich kaum noch
    bei uns zurecht.

    In diesen stotternden Gängen
    die wir geworden sind
    sehenden Auges
    eingeschlossen
    in unsere Absonderung.
    Das habe ich nicht gewollt.

    Im Wandfernseher klaffen
    rechts die fieberhaften Tiraden
    links die wunschlosen Delfingesänge.
    Das ist draußen.
    Hier die Stationsschwester die nickt
    wie der Dackel hinter der Heckscheibe.

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