Lockdown-Lyrik 69: »reziproke reizmuster im koller« von Christian Schloyer

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Christian Schloyer

reziproke reizmuster im koller

du kennst das: so glimmt der sturm
(warnung über badetümpeln) lötpunkte
an der gewitterfront kannst dir alles
erlauben
du sonnenkind du bakterien
(sic!) -existenz in subkutanen eiter
beeten nimm dir ne millisekunde
du milchgnom im schlossereisperr
bezirk schweißen sie jetzt
augäpfel von innen
an deine hirnschale da weißt du
bist willen
loser! als du dir vorstellen
willst weißt also die ewiggestrigen
suchen die tür zu deinem hirnkasten

mit dem gammastrahler suchen
sie deine gamaschen
aus diesem zustand (von deinen
füßen) zu ziehen doch ändert
das nichts danke du elf auf der welt
verschwörungskonferenz fällt dein
realitätssinn negativ auf realität
sagst du ist keine subtile kernwaffe
sie ist der subtitel zu gottes allmor-
dendem waffeleisen soll heißen
den rauchfang auf + zu
drehen nach belieben clockwise
da genügt‘s nicht auf dem sturm
horn zu hocken ju-jericho-he! wo’s
bibelt in babas babel
salat olé also dann

reduzier mal! den funken
flug du sprachkopp du kehlst
dich am wind
rad fest bohrst nach sinnierst über
die tiefste stelle am nasenhöckerring
wo sie stumpf runden
zirkeln mit ihren kerosinschlitten
merkst du’s? die warnleuchten! die
sonnenaktivitätowierten!
der co-
2-gehalt in deinem taschenrechner gibt
uns die überlebensquersumme der pe-
gel!
schlägt deutlich aus
der art
erhaltung (hat so übel viel zu tun
mit game over sag ich dir!)
jetzt aber schließ mal
die augenschließmuskeln es fließt
ein derart verzweifeltes grün
aus der bredouille (du wirst nie
erfahren wie sehr sich tod anfühlt)

nu sind das aber bloß die nieder
schlagendsten farben die dir durch die
brille pissen du detonierter vorgarten
zwerg
du soundbeilage aus der dose
(da ist kein platz für platzenden
fisch) aufgeschwemmt mit globuli
das ist der globale aspekt am aus
sterben & jedes zweite wort ist
(am) aussterben jedes zweite wort
stirbt aus finito! krone! aspik!

kerosinschwanger den alten +
instinkten vertrauend stinkt’s
schon extinction (wir haben’s versaut)
herrgott! lass dir die augen lasern
alle drei! lass sie dir lasern zu den
odyssee-geräuschen im sym-
phonieorchestergraben
krieg da schwillt der hass an
hans oder hase der läuft über sein
eigenes fell fellatio! (püriert) olé!

also! du arschgeiger
zähler! das kannst nicht mehr
wegbügeln da wirst noch
deinen spaß haben du hoch
heilige lähmungserscheinung
wenn der berg nicht zu dir kommt
das meer nicht + auch der urwald
nicht mehr dann f®isten die phi-
losophen ihr leben halt an der
tanke von hinten! zwischen sonn
täglichen abgasnormen + paket
dienstbarkeiten

was weißt du numismatiker schon
von gepräge gepränge + vom gehänge?
die ufologen beim urologen müssen
sich für einen billigen kalauer halten
umgekehrt noch mehr!
(aber das
gehört dazu!) zu den 3 dingen deren
existenz gesichtet ist entsichert
a) der zahnstein an den wurzeln
der graswurzelbewegten
b) das alphatier am büffet
c) das drittens-an-sich
das ließe unseren totalausfall
verschmerzen würde ich sagen lässt
sich verschmerzen würden wir nur
lange genug existieren um scham
voll zu fragen wo ist der sinn!

folglich: wieder was gelernt
kulanz ist ein tieftönender
geigenbogenton im negativen
hertzbereich nahe am infarkt kulanz
ist die unbedingteste form von
toleranz 3 ziegen + 1 jesus muss sie
wiegen
in summe arthouse-arthrose
+ akkupunktur sind die bekanntesten
orchesterinstrumente der postseduk-
tiven hyperklassizistischen schock
therapie sei’s wie’s sei! aber sei!

wenn sich das haar des rübezahl
an deinem gaumen verfängt
& du beginnst drauf abzufahren
& sprichst rückwärts weil
jede bewegung des willens eine
zeitreise ist im millimeterbereich

 

© Christian Schloyer, Nürnberg

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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