Lockdown-Lyrik 93: »Langweilig I und II« von Marina Maggio

»Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung von Gedichten, die sich mit der Corona-Krise befassen. Es darf uns die Sprache nicht verschlagen! In loser Folge erscheinen neue Episoden der von Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer und Fritz Deppert herausgegebenen Anthologie.

 

Marina Maggio

Langweilig I

Immer wieder die Sonne am Morgen,
wenn man durchs Fenster blickt.

Der Wind, der täglich durch die Ritzen
grüßt, wie der Hamster in meinem
Gedankenrad.

Die Bäume, die ausharren und keinen
Wurzelschritt zurückweichen.

Die Stunden, die in Spargelschritten
durch die Straßen ziehen.

Die Anleitungen zum Masken nähen
und die ausverkauften Fingerhüte.

Und diese Taube mit den verkrüppelten
Fuß, die nicht aufgibt, obwohl man ihr zuruft:

„BROTKRUMEN SIND SCHWER ZU KRIEGEN
IN DIESEN TAGEN!“

Diese Taube, die nie müde wird, den Schnabel
zu öffnen, bei jedem, der an ihr vorbei geht.

 
Langweilig II

Und immer wieder die Nacht, an deren
Dunkelheit man sich die Stirn plattdrückt.

Die Lyriden, die heute ausschwärmen wie
Fledermäuse, auf der Suche nach dem Blut
der Träumer.

Das Zählen der Atemzüge in der Stille.

Das Deuten des Kleingedruckten in
der Lunge.

Die Sonnenuhr, die aufgehört hat zu schlagen.
Der Sommer, im Marmeladenglas konserviert.

Eine Krähe mit bleiernem Geschrei.
Der Virologe, der bei allen die Nerven blank legt.

 
© Marina Maggio, Würzburg

 

 

Zu dieser Reihe: »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« ist eine Online-Sammlung zu den aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise. Wir wollen im Gespräch bleiben, während wir Infektionsketten unterbrechen. Wir wollen die Erfahrung der Vereinzelung miteinander teilen. Wir wollen virtuelle Brücken bauen. Wir wollen das tun, was wir können: dichten, die Welt – und auch die aktuelle Situation – poetisch erfassen.Unser Anliegen ist es in jedem Fall, zu einem Mehr an Besonnenheit beizutragen, zu versöhnen statt zu spalten. Mit Sorge sehen wir überharte Diskussionen, wie sie derzeit online, aber auch offline zu häufig geführt werden. Klar ist uns: Es gehört zu einer Demokratie dazu, Konflikte auszutragen. Aber wir insistieren auch hierauf: Es ist ebenso unerlässlich, sich des Gemeinsamen, Verbindenden bewusst zu sein und zu werden sowie respektvoll miteinander umzugehen.

Uns ist bewusst, dass bereits der Ansatz, zur Corona-Pandemie eine Lyrik-Online-Anthologie herauszugeben, ihre Auswirkungen zeitnah lyrisch zu behandeln, und dies aus verschiedenen Perspektiven sowie in unterschiedlichen Tonlagen, als Provokation aufgefasst werden kann. So ist diese Sammlung keineswegs gemeint. Ihr Thema an sich ist jedoch eben hochemotional besetzt. Für uns, die Herausgeber der Reihe, bleibt trotzdem und gerade deshalb wichtig: Wir wollen Brücken bauen, Perspektiven weiten, der ungewohnten Situation mit poetischen Mitteln und im gemeinschaftlichen Sinne begegnen.

Bleiben Sie gesund!

Alex Dreppec, Jan-Eike Hornauer, Fritz Deppert
 
PS: Alle bereits geposteten Folgen von »Lockdown-Lyrik! Quarantäne querdenken – etwas ernst zu nehmen heißt nicht, sich davon unterkriegen zu lassen« finden Sie hier. In loser, jedoch zügiger Folge wird die Sammlung erweitert.

 

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