Gedichte mit Tradition, Folge 118: »Rilke-Lied.«

»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer

 

Patricia Falkenburg

Rilke-Lied.

Als wir uns trafen: noch
Kannten wir einander nicht.
Kaum kannten wir uns selbst.
So wie die Saiten erst
Das Lied erahnen können,
Das dann aus ihnen singt, wenn
Einer über sie den Bogen führt.

Noch kennen sie zuerst das Holz,
Auf das ein Meister sie gespannt.
Du ahntest doch, wir würden
Gut zusammen klingen.
Und ludst mich ein, mit Dir
Dem Bogenstrich zu folgen.

Nicht immer, wohl gemerkt,
Nicht allezeit erklangen Harmonien.
Wohl wolltest Deine Seele im
Verborgenen Du unterbringen. Damit
Mein Lied in Dir nicht länger
Schwingen sollte. Wohl glaubte ich,
Mir seien dann alleine Töne abgerungen.
Allein des Instrumentes Spannung
Und dem Bogen standzuhalten
Sei somit mein Teil.

Doch dieses Lied ist unser beider
Und klingt noch immer fort.
Und unser beider so verschied’ne Stimmen
Streicht dieser Bogen fremd und wild
Gemeinsam immerfort.

O süßes Lied.
 

© Patricia Falkenburg, Pulheim
 

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Gedichte mit Tradition»Gedichte mit Tradition« im Archiv

Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.

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