Humor in der Lyrik – Folge 40: Jean Paul (1763-1825): »Lache das Leben an, es knurrt zurück!«

Die Behauptung ›Lyriker haben keinen Humor‹ gehört zu den unausrottbaren Missverständnissen. Doch gerade in dieser literarischen Gattung blüht Humor in allen Facetten. Alfons Schweiggert stellt an jedem 25. des Monats lyrischen Humor und humorvolle Lyriker in seiner Rubrik »Humor in der Lyrik« vor. Als Kolumnist von DAS GEDICHT blog will er damit Anregungen geben, Humor in der Lyrik zu entdecken und humorvolle Vertreter dieser Gattung (wieder) zu lesen.

»Und wenn Sie am Ende der Welt wohnen, und müsst ich hundert Stürme aushalten, um zu Ihnen zu kommen, so flieg ich in Ihre Arme … Ihr Werk ist ein Juwel.« Das schrieb der Schriftsteller Karl Philipp Moritz begeistert an Jean Paul, der ihm seinen Roman »Die unsichtbare Loge« zugesandt hatte. Friedrich Nietzsche schmähte ihn später hingegen als »ein Verhängnis im Schlafrock«. Arno Schmidt hinwiederum lobte ihn als »einer von den Zwanzig, für die ich mich mit der ganzen Welt prügeln würde.«

Jean Paul (zeitgenössisches Porträt)
Jean Paul (zeitgenössisches Porträt)
Johann Paul Friedrich Richter, der sich später aufgrund seiner Bewunderung für Jean-Jacques Rousseau Jean Paul nennt, ist der Sohn eines armen Dorfschulmeisterleins im Fichtelgebirge und ein dementsprechend mageres und schwächliches Kind, das seinen Hunger hauptsächlich mit Lesefutter stillt. So steht bald sein Berufswunsch »Schriftsteller« fest. Nach einem abgebrochenen Theologiestudium verdient er als Privatlehrer sein täglich Brot. Mit 18 hat er bereits einen Briefroman »Abelard und Heloise« und einige Satiren veröffentlicht, die von üppigem Wortwitz überquellen. Doch erst sein Roman »Hesperus oder 45 Hundsposttage« macht den bereits 32-Jährigen schlagartig berühmt. Nunmehr weiß er nach eigenen Worten nicht, was er aus sich anderes machen soll als Bücher.

In einer Vision erlebt er den »wichtigsten Abend« seines Lebens, »denn ich empfand den Gedanken des Todes, dass es schlechterdings kein Unterschied ist, ob ich morgen oder in 30 Jahren sterbe, daß alle Pläne und alles mir davonschwindet und daß ich die armen Menschen lieben soll, die so bald mit ihrem bißchen Leben niedersinken.«

Aus diesem Bewusstsein entsteht sein Verständnis von Humor, das er in seiner »Vorschule der Ästhetik« und in seinem humorvollen Erzähl- und Romanwerk vor Augen führt. Humor ist keine Gabe des Geistes, sondern des Herzens. Dabei kann das Leiden an der Unvollkommenheit der Welt, an überhöhten eigenen Ansprüchen und die Einsicht der eigenen Dürftigkeit den Menschen dazu bringen, über den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu lächeln. Humor ist also, wenn man trotzdem lacht, trotz allen Leides auf der Welt und trotz der Endlichkeit des Lebens.

So gesehen setzt echter Humor stets eine Höllenfahrt voraus, die dem Menschen erst »die Himmelfahrt anbahnt«. Dabei gleicht er dem Vogel Merops – Jean Pauls berühmtesten Bildfigur des Humors –, der rückwärts nach oben fliegt. Er kehrt also dem Himmel den Schwanz zu, fliegt dabei aber doch in Richtung Himmel. Sein Blick geht nach unten Richtung Hölle, sein Flug aber nach oben, Richtung Himmel. Dieser Vogel Merops, auch Bienenfresser genannt, kann wie der Kolibri rückwärts fliegen. Alles, was der Vorstellung von einer idealen Welt widerspricht, jedes Leid, das dem Menschen kopfüber an die Erde bindet, bringt ihn, wenn er es durch Humor überwindet, dem Himmel näher. So gesehen ist Merops Himmelfahrt also eine wahre Höllenfahrt, doch seine Höllenfahrt zugleich eine Himmelfahrt.

Schon in seinen skurrilen Worterfindungen zeigt sich Jean Pauls Humor. So sind »Angsthase«, »Schmutzfink«, »Weltschmerz« oder »Gänsefüßchen« Wortschöpfungen, die wir ihm verdanken.

Und er beherrscht auch den poetischen Aphorismus, also gleichsam Gedichte im Miniformat.
 

Das Leben gleicht einem Buche.
Toren durchblättern es flüchtig;
der Weise liest es mit Bedacht, weil er weiß,
dass er es nur einmal lesen kann.

Lache das Leben an,
und es knurrt zurück.

Gebt dem kleinen Kind
einen dürren Zweig,
es wird mit seiner Phantasie
Rosen daraus sprießen lassen
 

Mit den Jahren wird Jean Paul immer beliebter und dabei immer beleibter. Er muss nicht mehr hungern wie als junger Poet. Seine Bücher sind erfolgreich und er kann als einer der ersten Dichter, wie es heißt, von den Einkünften leben. Noch heute überzeugt sein Spiel mit witzigen und bizarren Einfällen. Beißende Satire steht neben mildem Humor und geistreicher Ironie. Realistische Darstellung wechselt ab mit verklärendem Idyll und drastische Erzählung mit sentimentaler Sehnsuchtsstimmung und seine Aphorismen sind Poesie pur.
 

Sprachkürze
gibt
Denk-Weite.

Kinder und Uhren dürfen nicht
beständig aufgezogen werden,
man muss sie auch gehen lassen.
 

Humor ist
überwundenes Leiden
an der Welt.
 

Heute ist Jean Pauls Ruhm leider verblasst und seine Werke finden kaum noch Leser. Doch wer sich darauf einlässt, der wird reich belohnt, denn der Dichter aus Franken hat uns noch immer viel zu sagen und der überquellende Reichtum seiner Sprachspiele und seines Sprachwitzes lässt sich nach wie vor genießen, gerade auch in seiner aphoristischen Poesie.
 

Man hört immer von Leuten,
die vor lauter Liebe
den Verstand verloren haben.
Aber es gibt auch viele,
die vor lauter Verstand
die Liebe verloren haben.

Das Schicksal geht mit uns
wie mit Pflanzen um:
es macht uns
durch kurze Fröste reifer.

 

Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München
Alfons Schweiggert. Foto: Gerd Pfeiffer, München

»Humor in der Lyrik« wird Ihnen von Alfons Schweiggert präsentiert. Der Münchner Schriftsteller veröffentlichte neben Erzählungen und seinem Roman »Das Buch« mehrere Lyrikbände, Biographien und Sachbücher sowie Kinder- und Jugendbücher. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit als Institutsrektor am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München ist er seit 2010 freischaffender Autor. Schweiggert ist Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Turmschreiber und Vorstand der »Karl Valentin-Gesellschaft«.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Humor in der Lyrik« finden Sie hier.

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