LYRIK-REVUE FOLGE 16: wenn zum beispiel rein stimmlich kaum / was gesagt wird

Auszeichnungen, Institutionen, Konferenzen, Lesungen, Poesie im Feuilleton und Lyrik-Neuerscheinungen: Nicola Bardola kommentiert und präsentiert am 20. eines Monats Bemerkenswertes aus der Welt der Verse.

 

Das gibt es selten: Eine Drehbuchautorin und Lyrikerin. Ines Berwing entwirft (Kurz-)Filme und szenische Poesie, erfindet Sprachbilder und Dialoge. In ihren Gedichten erkennt man die Bewegtbilder, in ihren Videos die Verse. Es entstehen Wechselwirkungen der Themen und Ideen.

Nach zahlreichen Veröffentlichungen einzelner Gedichte, für die sie schon 2010 den Paula Rombach Literaturpreis der Uni Freiburg und 2015 das Wochenend-Stadtschreiber-Stipendium der Zeitschrift BELLA triste erhielt, ist nun ihr erster Band „muster des stillen verkabelns“ erschienen.

Beim Leser stellt sich ein angenehmes Stolpern ein, denn Berwing montiert groteske Wortbilder so, dass sie manchmal aufeinanderprallen und sich manchmal ineinanderfügen, um dann gemeinsam etwas Neues fortzusetzen oder sich ins Absurde weiterzuentwickeln. Unpoetisches wird poetisiert: Die Kontonummer beispielsweise kommt dem Ozonloch nahe und am Ende droht der Tod.

Ines Berming
Ines Berwing (Foto: privat)

 

ich komme aus einem sommer
und brauche eine lange
kontonummer die mich behandelt wie
eine waise. dreimal so warm
wie ein ozonloch. sechsstellig und mit
charakter vorm komma. wenn ich die nummer
vergesse warten fünf sehr blasse
herren vorm haus die manchmal lügen
auf mich nachts fahren sie mit den verlorenen
nummern hinauf zur glatze des mondes dort
wird licht gespart und jemand droht
der kleinsten sie im nadelöhr des todes
verschwinden zu lassen

© Ines Berwing

 

 

Profan und geheimnisvoll zugleich entfalten Bankverbindungen ihr Eigenleben. Sie demonstrieren ihre Macht und wirken bedrohlich mit ihren Helfershelfern, den blassen Herren. Normalerweise wortlos-flüchtige Anflüge von Gefühlen bei gewöhnlichen Menschen und Banksklaven finden bei Berwing ihre eigenartigen Bilder, die entstanden sind, um zu bleiben. Sie jongliert im Verborgenen mit Worten so lange, bis sie so auf ihr Schreibpapier fallen, dass Berwing sie für sich und die Leser voller Zeilensprünge neu collagieren kann: „wieder so ein tag mit gefiederten / fingern aus glas. lieber sieb / ich mein rippchen-shirt kornklein / spinne spinnerverdächtige sätze / oder versperre der zahlung den weg.“

Ines Berwing wurde 1984 in Bad Nauheim geboren. Sie studierte deutsche und englische Literatur-wissenschaften, danach Drehbuch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Ihre Kurzfilme liefen auf zahlreichen internationalen Festivals und gewannen viele Preise. Das Aussehen Ines Berwings erinnert ein wenig an Nico (Christa Pfäffgen), die Muse Andy Warhols und Sängerin von The Velvet Underground. Das sollte hier keine Rolle spielen und fließt doch ein in ihre Gedichte und Filme. Ines Berwing könnte schließlich auch als Model und Schauspielerin vor der Kamera stehen. Um ihre Lyrik anders zu verstehen, müssen wir ihre Filme anschauen. Da ist das Model, magersüchtig und hungrig in „EAT – Official Selection ÉCU“, ein 48 Sekunden Clip nach einem Script von Berwing. Der Kontrast zwischen den beiden dargestellten Frauen beschäftigt die Betrachter. Die Arbeit, das Essen, die Konzentration im Hin und Her der Perspektivwechsel. Dies ist nur der Anfang. Der ganze Film dauert sechs Minuten und mündet in eine drastische Darstellung von Binge Eating und der darauf folgenden Verzweiflung.

 

 

Ines Berwing hat 2017 die Solidaritätserklärung von Sofie Lichtenstein mit den Studierenden des AStA der Alice Salomon-Hochschule im Zusammenhang der avenidas-Debatte unterzeichnet, u.a. gemeinsam mit Ann Cotten, Julietta Fix oder Nikola Richter. Mit Zurückhaltung mischt sie sich in poetische Diskurse ein. Hier die Erklärung, vorgetragen von Sofie Lichtenstein:

 

 

Berwing veröffentlicht als „inu_schka“ sparsam Fotos auf Instagram. Mit wenigen Sätzen – wenn überhaupt – kommentiert sie die Bilder. Sie ist da und wirkt doch im Hintergrund. Sie ist Ko-Drehbuchautorin des 81-Minuten Films „Bube Stur“ („Stubborn Boy“) und entwickelte die Kurzfilme „Biester“ (23 min) und „Elisa“ (16 min). In „Kurzer Besuch“ schreibt Berwing: „mutter sagt in der alufolie / steckt eine stille die man braucht / wenn zum beispiel rein stimmlich kaum / was gesagt wird …“ Und das Wenige in einer dunklen und betörenden Stimme in diesen nur 27 Texten, die um ein weibliches Ich kreisen, das sich mit sprachlichen und inhaltlichen Abweichungen von der Norm aus einer lästigen Männerwelt befreit.

© alle Zitate Ines Berwing

Ines Berwing, muster des stillen verkabelns - Gedichte, Hochroth Verlag
Coverabbildung (Hochroth Verlag)

 

 

 

 

 

 

 

 

Ines Berwing
muster des stillen verkabelns. Gedichte.
Hochroth Verlag, 38 Seiten, Broschur, € 8,00
ISBN 978-3-903182-27-1

 

 

 

 

Nicola Bardola. Foto: privat
Nicola Bardola. Foto: privat

Nicola Bardola, 1959 in Zürich geboren, veröffentlichte als Student an der Universität Bern erste Gedichte und schrieb 1984 an der Universität Zürich im Fach Germanistik seine Lizentiatsarbeit über Theorien moderner Lyrik (u. a. zu Nicolas Born, Rolf Dieter Brinkmann, Jürgen Theobaldy). Seither lebt er in München, wo er seine Kolumne »Lyrik Revue« zunächst für das Münchner BuchMagazin betreute und für die Süddeutsche Zeitung schrieb. Er veröffentlichte Gedichte in Zeitschriften und Anthologien, übersetzte Eugenio Montale ins Deutsche und war Mitbegründer der Initiative Junger Autoren (IJA). Zuletzt erschien von ihm „Elena Ferrante – Meine geniale Autorin“ im Reclam Verlag.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Lyrik-Revue« finden Sie hier.

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